Störgröße M
Kopf. »Nichts kann mich davon entbinden, damals nicht und nicht heute. Ich verzichte auf Rechtfertigung. Bleiben Sie, was Sie sind«, bat er inständig, »ein unbelasteter Mensch. Freuen Sie sich Ihrer Schönheit und Ihrer Klugheit. Lassen Sie die Überwesen, bleiben Sie eine Frau, die man lieben kann.«
Irelin bewegte sanft den Kopf und lächelte. »Wir wollen die Wahrheit herausfinden. Wir könnten es anderen überlassen. Aber wenn man einmal damit begonnen hat, wird es zum moralischen Zwang. Denken Sie nicht, ich sei meines Körpers überdrüssig.« Ihr Blick flog leicht über Dincklee hin. »Ich hatte noch nie Gelegenheit, mit einer Gefahr für mich selbst fertig zu werden, mich als mich selbst zu behaupten. Ihre Warnungen, Doktor, haben das Gegenteil bei mir bewirkt. Sollte ich in Zukunft mit einem existentiellen Widerspruch leben müssen, ich werde ihn bewältigen. Jeder Mensch braucht diese Chance. Ohne sie zu ergreifen, würde das Leben sinnlos. Wir selbst würden fad, denn eines Tages wären wir uns selbst kein Geheimnis mehr, und wir begegneten einander stets wie Menschen, deren Tiefe uns bekannt vorkommt.«
Irelin, wollte Dincklee rufen, Liebste! Aber ihr Blick verbot ihm jeden Zweifel.
Choyteler nickte. »Ich habe in fünfundvierzig Jahren über Dinge nachgedacht und unter Bedingungen, wie vor mir wohl noch nie ein Mensch. Unter den Augen von siebenundzwanzig Toten, die nicht tot sind, Findet man zwangsläufig zu sich selbst. Man begreift die eigene Bedeutung, oder man wird wahnsinnig. Ich bin nicht wahnsinnig geworden, und ich begreife Sie. Ich habe meinen Ehrgeiz gehabt. Aber Sie sind jung. Sie erhoffen von sich noch maßlose Dinge. Damit sind Sie tauglich für die Welt. Glauben Sie mir, zum guten Teil hat mich der Umgang mit jenen dort, deren Körper ich töten mußte, für die Welt untauglich werden lassen. Einsamkeit«, sagte der Alte, »damit wird man fertig.«
»Sie sind Arzt«, sagte Dincklee leise.
»Arzt oder nicht«, entgegnete Choyteler. »Ich muß es tragen. Wie sollten sie anders überleben?«
Ohne eine weitere Rechtfertigung wandte er ihnen den Rücken zu und sagte im Hinausgehen: »Ich werde eine Kopie von ihr anfertigen. Was Sie dann mit sich selbst anfangen, ist Ihre Sache.« Er verschwand durch die schmale Tür ins Nebengelaß. Von dort her tönte seine Stimme. »Ich bereite alles vor. In fünf Minuten bin ich soweit.«
Irelin eilte auf Dincklee zu. Sie legte ihm die Arme um den Hals. Ihre Stimme flüsterte an seinem Ohr. »Ich bin sicher, er übertreibt natürlich. Ich fürchte nichts für mich, für uns.« Ihre eiskalte Haut, ihr Zittern straften ihre Beteuerung Lügen.
»Ich müßte es dir verbieten«, sagte er. »Als dein Vorgesetzter könnte ich es sogar tun und brauchte dir nicht einmal eine Erklärung zu geben. Unser Auftrag lautet, nicht einzugreifen. Würde, ich es tun, würdest du mir nie wieder glauben. Das hier ist dein Risiko, deine Bewährung. Ich habe die meine nie gescheut. Du hast einen Anspruch darauf. Das klingt großartig, nicht wahr! Jeperzon würde es großartig nennen. So etwas begreift er nicht.«
Über seine Schulter sagte sie: »Ich habe dich bewundert. Ich Will erfahren, weshalb. Dazu muß ich einen Schritt weiter gehen als du. Die Tatsache, daß ich dich liebe, ist nicht der Anlaß, sondern wird die Folge sein.«
Sie ging. Er tat nichts. Hätte er sie aufhalten sollen? Geraume Zeit verharrte er in einer Art schlaffer Erstarrung, dann folgte er ihr.
Choyteler hatte ihn kommen gehört. Ohne von der Arbeit aufzublicken, bemerkte er: »Es ist gut, daß Sie da sind. Es geschieht ihr nichts, was nicht mit dem von ihr gewollten Experiment in Zusammenhang stünde. Es ist mir trotzdem lieb, einen Zeugen zu haben.«
»Mir liegt daran«, sagte Dincklee, »daß ihre Aussage Sie entlastet. Ich vertraue Ihnen.«
Ein Gewirr von Kabeln umspann sie wie ein Kokon. Den Kopf sowie die obere Gesichtspartie bedeckte eine Art Helm, dessen schwellende Form Ekel in ihm auslöste. Das einzig Natürliche in diesem Chaos war ihr Mund.
»Irelin«, sagte er. »Irelin, hörst du mich?«
Langsam und vorsichtig, als umgebe sie nur papierdünne Form, lösten sich ihre Lippen voneinander. »Ich bin gespannt«, flüsterte sie, »wie es sein wird.«
»Sie werden nichts Unangenehmes bemerken«, beruhigte sie Choyteler.
»Ich habe vor nichts Angst, wenn du da bist«, versuchte ihr hilfloser Mund ihm zu suggerieren.
»Fertig«, sagte Choyteler. »Entspannen Sie sich. Denken Sie, woran Sie wollen,
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