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Störgröße M

Störgröße M

Titel: Störgröße M Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ulbrich
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Drunens Meinung zufolge nahmen sie von letzterem
unnötig viel mit, Sie mußten einfach lernen, sich
einzuschränken. Der Luxus heizbarer Stiefel kam ihm fast
verbrecherisch vor.
Er argumentierte beschwörend. Sie würden begreifen müssen,
auf vieles zu verzichten, woran sie gewöhnt waren. Sie würden
sich auf Fähigkeiten besinnen müssen, die die Menschen
einmal beherrschten. Jedoch, was sie niemals würden ersetzen
können, das war das wissenschaftliche Instrumentarium, die
Mittel, um ein in der Tat menschliches Leben führen zu
können.
Schweigend blickten die drei sich an, beugten sich wieder
über ihre Mahlzeit. Gereizt warf er das Besteck hin. Das
hintergründige Einverständnis zwischen ihnen weckte sein
Mißtrauen.
Vanderboldt ergriff das Wort. Natürlich, kein anderer
verstand es, mit so unbarmherziger Direktheit zum Kern einer
Sache vorzustoßen wie er. Mit unumwundener Klarheit sagte der Arzt: »Wir könnten einen von ihnen retten. Wir wären dann
zu fünft.«
»Ich kann rechnen«, sagte Drunen.
»Wie du weißt«, fuhr Vanderboldt fort, »konnten lediglich
die vier für die Lenkung des Raumschiffs und die
Wiederbelebung wichtigsten Leute von vornherein mit
automatischen Revitalisierungskomplexen versorgt werden. Im
Prinzip ist es ein Zufall, daß wir vier Männer sind. Aber es
spielten da noch medizinische Erwägungen eine Rolle.« Für einen Moment schien das Tosen der Triebwerke
abzuflauen, um dann mit vermehrter Wucht wieder
einzusetzen. Die klare Stimme des Arztes kämpfte gegen die
Flut von Geräuschen an. »Im Austausch könnten wir in einem
der Gleiter einen kompletten Komplex unterbringen, samt
Kühlfach: eine Frau gegen die Ladung.«
Drunens Blick erhaschte Einmütigkeit bei den anderen. Der
Vorschlag konnte ihn nicht überraschen, denn seitdem ihm im
Kälteraum die Idee gekommen war, hatte sie ihn im
Unterbewußtsein verfolgt. Er zögerte mit einer Antwort, da die
Verlockung, die Faszination des Gedankens ihn noch einmal
bedrängte, gleichzeitig mit der beklemmendsten aller Visionen:
vier Männer – und eine Frau.
Groß und freundlich sah ihn Monteverdi an. »Wir sind vier
Männer. Was also liegt näher?« Den Blick nur um ein Geringes
gedämpft, fuhr er fort: »Wenigstens einen Menschen brauchen
wir, in dem wir uns vereinen, durch den wir uns finden, uns
wie auch zu uns. Denn wir werden uns verloren vorkommen,
verdammt verloren. Uns davor zu bewahren, ich glaube, das
vermag nur eine Frau.« Die Augen wirkten tief in dem
massigen, flachen Gesicht, doch ihr Glanz floß weich über
seine Züge. Er hob die Hände, schickte einen Blick hinüber zu
George. »Wir benötigen ein Minimum an Material, wir sind
hilflos, verweichlicht. Ohne Schutz droht uns der sofortige Untergang. Ich muß den einen Menschen opfern. Es ist unmöglich, zwei Frauen mitzunehmen. Es wird niemals jemanden geben, der die Richtigkeit dieser Entscheidung beweisen könnte. Immerhin könnt ihr mir für die Zukunft das Recht nehmen, Befehle zu erteilen. Doch im Moment bin ich
noch euer Kommandant.«
George schlug sich auf die Schenkel, sprang auf, lief ein paar
nervöse Schritte, kehrte um. »Laßt uns doch den ganzen
Krempel rausschmeißen. Wir müssen zwei mitnehmen,
wenigstens zwei.«
»Sei vernünftig«, forderte Monteverdi scharf. »Wir sind
angewiesen auf ein Minimum an irdischen
Lebensbedingungen. Ich glaube kaum, daß du es gut
überstehen würdest, müßtest du nackt in einer Astgabel
nächtigen.«
Der ansonsten ausgeglichene, beinahe behäbig wirkende
George wurde krebsrot, seine Hände zitterten. »Was für ein
kindisches Beispiel.«
Drunen brach in Gelächter aus, verstummte, als er die Blicke
der anderen auf sich gerichtet sah. »Seid ihr wirklich so naiv,
daß ihr glaubt, nach einem sittlichen Ethos leben zu können, als
wärt ihr auf der Erde? Ob nun eine Frau oder zwei, ich habe
keine Lust, mich um sie zu prügeln. Es geht nicht.«
»Was bist du nur für ein Feigling!« schrie George. Drunen grinste. »Ich habe das Gefühl, ihr wollt die
Naturburschen spielen. Alles gehört allen, die Weiber wie der
Bär am Spieß.«
»Idiot«, sagte George. »Wir sind erwachsene Menschen.« Einen kurzen Moment lang sammelte Drunen seine
Gedanken, dann äußerte er ernsthaft: »In den Stunden, seitdem
ihr mich geweckt hab, bin ich auf Dinge aufmerksam
geworden, die ich früher nie in mir vermutet hätte. Ich werde
damit nicht fertig. Auf der Erde war alles klar, der Weg schien abgesteckt, die Funktion, die Rolle im Leben

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