Störgröße M
Wand zwischen ihnen
niedergerissen. Aber wozu war jetzt noch Zeit?
Hätten sie nicht auf alles pfeifen sollen, auf optimale
Charaktereigenschaften, geeignetste Persönlichkeitsstruktur?
Hätten sie nicht, ohne ein Wort zu verlieren, Georges Frau
mitnehmen sollen. Hätte sich nicht darin tiefste Verbundenheit,
der Anfang einer unzerstörbaren Einheit, ausgedrückt? Er
schwieg, denn die »Forderungen der Realität« bemächtigten
sich seiner wie ein Wahn, und bereitwillig überließ er sich
ihnen wie etwas Vertrautem.
Warum gerade Catlin? War so ein zartes, träumerisches Ding
geeignet, schmal, feingliedrig wie ein Kind und wie ein solches
seiner Meinung nach ohne Sinn für Praktisches? Möglich, daß
es Situationen gegeben hatte, in denen sie den Anschein
erweckte, es stecke vielleicht mehr in ihr, eine stille
Unnachgiebigkeit, ein zäher Wille. Aber er traute der müden
Erinnerung nicht. Sie war nicht einmal hübsch.
»Macht, was ihr wollt«, äußerte er verdrossen. »Oder besser,
was dieses Ding hier befiehlt.« Sich selbst einredend, daß er
überflüssig sei, zog er sich zurück, folgte George und
Monteverdi im Abstand von einigen Schritten.
Ihr Atem belebte mit weißen Wölkchen den Raum.
Nebeneinander schritten sie zwischen den Todesfächern
hindurch.
Während sich Catlins Behälter langsam in den Gang schob,
meldete Vanderboldt die geglückte Verlegung des Komplexes.
Auf die Nachricht, daß es Catlin sei, erwiderte er nur: »In
Ordnung.« Aber seine Stimme klang freudig beschwingt. Sie schoben den vielfach isolierten Eissarg an. Lautlos, fast
wie von selbst glitt er, gehalten von einem winzigen
Schwerkraftgenerator, zwischen ihnen dahin, ein glänzend
weißes Paket, unförmig wie eine Bombe. »Schneller«, flüsterte
Monteverdi, »schneller.«
Vor dem Ausgang verhielt Drunen, wartete, bis ihre Schatten
um die nächste Ecke bogen, des Kommandanten Ruf zur Eile
ihn nicht mehr erreichte. Was wollte er noch? Gedankenlos
harrte er aus, bis sich das Schott geschlossen hatte. Dann
sicherte und versiegelte er es mit pedantischer Akribie.
Monteverdis Stimme rief ihn, fluchte, beschwor.
Ruhig, ohne Hast machte er sich auf den Weg.
Vor der Tür seiner Wohnkabine verhaltend, kam er sich wie
ein Eindringling vor. Hatte er Anspruch auf einen Gegenstand,
eine Erinnerung? Er trat ein mit taubem Gesicht. In den
Wochen, die dem Einfrieren vorangingen, war es seine
vertraute Umgebung gewesen. Jetzt erschien ihm dieses letzte
Stückchen Erde fremd, abweisend. Was verband ihn noch
damit? Im Namen der Zukunft schien es geraten, alles zu
vergessen. Ein winziges, verlegenes Lächeln spannte seine
Wangen. Hatte er nicht stets ungeliebte Erinnerungen
abgefertigt wie ungelegenen Besuch an der Tür? Mehr denn je
wollte er ein Mann ohne Vergangenheit sein. Der Weg zurück
war versperrt. Er verschüttete ihn radikal.
Sein Blick glitt über die wenigen Dinge, die ihn schon ein
Leben lang begleiteten, und nahm sie nicht wahr. Was sollten
sie ihm nützen in der ungewissen Zukunft. Ballast.
Noch einmal drehte er sich um, griff ohne hinzusehen in das
Fach hinter der Tür. Fest fügte sich die Waffe in ihren Sitz. Beim Gehen streifte seine Hand den Kolben.
Das Dröhnen schwoll an bis zur Unerträglichkeit, als er in
den Hangar trat. Die Tür klappte hinter ihm zu, schnitt das Gewesene ab. Die Ladeluken der Gleiter waren geschlossen.
Untätig standen im Hintergrund die Roboter.
»Wo treibst du dich herum?« schrie Monteverdi. »In zehn
Minuten müssen wir weg sein!« Sie hatten die Schutzanzüge
bereits angelegt. Das Toben der Triebwerke klang wie der
Schrei beim Sturz in den Abgrund. Er schlüpfte in den Anzug.
Die Verschlüsse klickten.
»Vanderboldt, du, ich, fliegen zusammen«, sagte Monteverdi.
»George übernimmt Catlins Transport.«
Einen Grund, dem zu widersprechen, sah Drunen nicht. Er
unterließ es, demonstrativ zuzustimmen. Die Griffleisten der
Leiter widerstanden dem Zug seines Körpers. Lediglich die
Sprossen federten unter dem Gewicht. Fast am Einstieg
angelangt, empfand er die Ruhe in seinem Rücken als
sonderbar.
Mitten in der Bewegung zum Aufbruch erstarrt, standen
Vanderboldt und der Kommandant. Die Art, wie George den
Helm abnahm, ihn, wie ein Bittsteller seinen Hut, linkisch in
Händen hielt, wirkte beklemmend.
»Was hast du da gesagt?« fragte Monteverdi.
»Ich bleibe.«
»Du bist übergeschnappt.«
George schüttelte den Kopf, lächelte matt. »Du kannst mir
nicht den Befehl dazu geben.«
Angestaute Luft strömte aus
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