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Störgröße M

Störgröße M

Titel: Störgröße M Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ulbrich
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eindeutig. Aber
nun…? Auf der Erde bedeutete Arbeit alles für mich.« »Glaubst du, wir hätten Däumchen gedreht?« warf George
ein. Mit spöttischer Miene schüttelte Monteverdi den Kopf,
vorwurfsvoll, unübersehbar. »Hast du in mönchischer Klausur
gehaust? Ich weiß nicht…«
»Was weißt du nicht?« fragte Drunen gereizt. Kaum
bemerkbar hellte sich sein Blick auf. »Wenn überhaupt, dann
werden wir dort unter Ausnahmebedingungen leben. Was auf
der Erde vielleicht funktioniert, eine Frau, zwei Männer oder
umgekehrt, das ist unter unseren Bedingungen nicht möglich.
Um in einer Welt voller Feindseligkeiten zu überleben, müssen
wir eine unerschütterliche Einheit bilden, das heißt, eine
gemeinsame Aufgabe muß uns zusammenhalten. Eine Frau
reduziert unsere Lebenssubstanz, abgesehen von der
wissenschaftlichen Ausrüstung.« Er verstummte so abrupt, als
wäre er jedes weiteren Worts zum Erbrechen überdrüssig. Einige Atemzüge lang schwiegen sie, dann sagte Monteverdi:
»Wir alle müssen damit fertig werden, jeder auf seine Weise.
Vielleicht hast du es besonders schwer, vielleicht Van,
vielleicht George. Wer wollte das beurteilen? Du solltest dir
nicht anmaßen, dich zur Norm zu erheben, indem du uns deine
Maximen diktierst.«
Drunen fühlte, daß er besser nichts mehr sagte. Er
verschränkte die Arme über der Brust, senkte wie nachdenkend
den Blick. »Das Problem ist, wen wählen wir aus?« Das war
eine sachliche Feststellung, die ihm niemand übelnehmen
konnte.
George sah zu ihm hinüber. Seine Züge wirkten in
Resignation erschlafft. Er suchte einen Verbündeten. Aber wie
sollte er ihm helfen?
»Das Problem ist kleiner, als du denkst«, sagte George. »Der
Speicher ist eine objektive Instanz.« Er begann krampfhaft zu
lachen wie über einen schlechten Witz.
»George«, sagte Vanderboldt vorwurfsvoll, »wir waren uns
doch einig. Es ist ein optimales Verfahren.«
»Wer hat mich vorhin einen Feigling genannt? Warst du das,
George?« Drunen sah George ins Gesicht. Ein Muskel zuckte
darin. »Und was ist das? Ist das nicht feige? Ihr wollt euch
drücken, was? Ihr traut euch nicht, selbst Schicksal zu spielen.
Später hofft ihr, euch mit dem Gottesurteil herausreden zu
können. So oder so, es bleibt eine Anmaßung. Eure Idee ist
wahrlich nicht salomonisch. Was sollen wir ihr sagen, wenn sie
uns einst fragen wird, wie uns zumute war, als wir über
einhundertzwanzig Menschen das Todesurteil fällten? Seid
doch ehrlich, es geht euch nicht um die konkrete Person. Euer
Gewissen beruhigen wollt ihr, nichts weiter. Ihr braucht eine
Entschuldigung für die eigene Rettung. Ich komme mir vor wie
ein Mörder.«
Die drei Männer blickten ihn schweigend an. Schließlich
bemerkte Vanderboldt: »Von mir aus feige. Wie denkst du dir
das? Jeder von uns würde seine Maßstäbe anlegen, anfechtbare,
subjektive. Das und nichts anderes würde uns später
zermürben.«
»Schön«, sagte Drunen, »aber vielleicht wird sie es gar nicht
wollen, vielleicht verflucht sie uns einmal, weil wir ihr nicht
die Qual ersparen. Weißt du denn, ob ich euch nicht Vorwürfe
machen werde? Kann sein, ich verzweifle, kann sein, ich hätte
lieber weitergeschlafen!«
»Wer von uns«, sagte Monteverdi, ohne die Stimme
wesentlich anzuheben, »hätte er die Wahl, würde den Tod im
Gefrierfach vorgezogen haben?«
Niemand fand sich zu einer Entgegnung bereit. Es schien
alles gesagt zu sein. Einen letzten, schwächlichen Versuch unternahm Drunen, indem er ausrief: »Selbst unsere aussichtlose Situation entbindet uns nicht der ursprünglichen Verpflichtung. Zwar sind wir nur zur Bewältigung eines Minimums an Aufgaben in der Lage, das aber sollten wir wahrnehmen. Die gesamte Menschheit blickt auf uns. Auch
jetzt noch!«
»Verdammt noch mal, schweig«, sagte George mürrisch.
»Verschone uns mit diesen Phrasen. Die Erde hat uns verloren,
wir haben die Erde verloren. Wir haben nichts mehr
miteinander zu schaffen. Es gibt keine Verantwortung mehr der
Erde gegenüber. Nur ihnen«, sein Finger wies in die Richtung
des Kältedepots, »sind wir noch verpflichtet. Nichts weiter gilt
als ihr Leben. Eine Frau, zwei. Jede könnte eine Hälfte unseres
Lebens ausfüllen. Dafür wäre ich bereit, in einer Astgabel zu
schlafen.«
»George«, sagte Monteverdi, »hier ist keiner, der dich nicht
verstünde. Wenn ich könnte, würde ich vier Frauen, würde ich
alle unsere Kameraden mitnehmen. Du weißt selbst, das ist
unmöglich. Astgabel! Wir sollten uns keinen

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