Stolen Mortality
mattschwarze Augen, die ins Leere starrten. An ihrem Hals klaffen tiefe Schnitte, ebenso an ihren Handgelenken.
Ausbluten lassen. Man hatte sie ausbluten lassen.
Er schüttelte verzweifelt den Kopf. Nein!
Doch. Und dann wehrlos in die Sonne geworfen. Sie war tot.
„Nein!”
Er zog die Scherbe ein weiteres Mal durch seine Handinnenfläche. Presste sie ihr auf den Mund.
„Trink, verdammt noch mal!“
Immer wieder glaubte er, eine Bewegung zu vernehmen. Doch nie war es mehr als Einbildung. Immer wieder schloss sich die Schnittwunde in seiner Handfläche. Immer wieder schlitz t e er sie wieder auf, versuchte es irgendwann an den Pulsadern am Handgelenk. Grob presste er die Wunde an ihren Mund, grub die Finger in ihr Haar. Das Beben seiner Hand ließ ihr Gesicht zittern und zur Seite sacken. Das Blut lief aus ihrem Mundwinkel und tropfte aufs Bett.
Das alles war nicht wahr. Er träumte nur. Er würde gleich erwachen und sie würde schief lächeln und ihre Finger in seine Ärmel stecken.
Ein Schluchzen aus seiner eigenen Kehle strafte die Gedanken Lügen, als er ein weiteres Mal die Keramikscherbe über sein Handgelenk zog. Es tat weh. Im Traum gab es keinen Schmerz.
Sie hatte mit ihm weggehen wollen. Es war seine Schuld, nur seine.
Vor dem Bett kauernd legte er einen Arm angewinkelt neben ihren Körper, vergrub das Gesicht darin und wartete darauf, dass Zeit verging. Wartete, dass sich ihre Lippen an der Schnittwunde bewegten. Dass ein zaghaftes Zucken zu fühlen wäre, oder ein schwaches Stöhnen zu hören, oder ein Wimmern, oder ein Herzschlag, oder … Irgendetwas.
Ein Lebenszeichen, nur ein verdammtes Lebenszeichen.
„Bitte“, weinte er irgendwann leise. „Bitte.“
Nichts. Lange, lange Zeit nichts. Jamian ließ Zeit und Blut verrinnen und gerinnen. Bewegungslos werden. Selbst seine Gedanken verklumpten mit seinem Blut.
Er hatte keine Ahnung , wie spät es geworden war, als er von Geräuschen aus seiner Starre geholt wurde. Vor dem Haus hielt ein Wagen, er hörte Sinead laut fluchen und Junias ’ Stimme in seinem Kopf.
Jamie, wo bist du? Verdammt, gib Antwort! Was ist passiert?
Lasst mich in Ruhe , gab er müde zurück.
Jamian, hier ist alles voller Vampire. Sie kommen näher, wir hören sie! Was ist hier los?
Vampire? Jamian hob den Kopf, wandte sich von Laine ab und wischte sich mit den Händen über die Augen. Es war dunkel draußen, fast schon finster.
Mindestens drei , antwortete Junias. Jamian hörte Sinead draußen seinen Namen rufen; hörte, dass Junias ihr sagte, er sei im Haus.
Er biss die Zähne zusammen, legte den Kopf mit geschlossenen Augen an Laines Stirn und küsste sacht ihre Haare. „Wer immer dir das angetan hat“, presste er durch die Zähne, „er wird es bitter bereuen, das schwöre ich dir.“
Eine Träne lief ihm über die Lippen. Sie schmeckte nach purem Zorn und der Geschmack war gut. Er erfüllte ihn augenblicklich. Unweigerlich schlossen sich seine Hände zu Fäusten. Sein Entsetzen wich einer nie gekannten Wut, er konnte körperlich spüren, wie sie anstieg und sich in ihm ausbreitete, bis seine Muskeln vor Verlangen brannten. Die Wut wuchs zu einem Hass an, der so heftig war, dass er in jeder Faser seines Körpers schmerzte.
Wie im Trance ging er nach draußen, wo Junias und Sinead ihn überfielen und unverständliches Zeug auf ihn einredeten. Junias zerrte an seiner blutverschmierten Hand herum.
„Was ist passiert?“, hörte Jamian aus vielen anderen Sätzen heraus, doch er entzog seinem Bruder nur seinen Arm und wich einen Schritt zurück.
„Ich glaube, er steht unter Schock“, raunte Sinead in Junias ’ Richtung. „Oh verdammt noch mal ! Ausgerechnet jetzt. Jamie, was hast du nur? Hast du geweint?“
Jamian riss sich zusammen. „Ich bin okay.“
„Aber was … was ist denn passiert?“ Junias schien völlig verwirrt.
Statt einer Antwort warf Jamian Sinead einen vernichtenden Blick zu. „Er sollte nicht hier sein. Ich hatte dir gesagt, dass er fortbleiben sollte.“
„Er ist ein ebenso sturer Esel wie du.“
Junias schob das Kinn vor. „Ich bin kein Kind mehr! Ich bin ein Kienshi und Wächter von Glen Mertha wie du.“
„Mach, was du willst“, meinte Jamian , als wäre es ihm gleichgültig. Es war ihm nicht gleichgültig, aber ändern konnte er es jetzt nicht mehr.
Niemand erwiderte mehr etwas, denn sie hörten die Vampire näher kommen. Jamian spannte jeden Muskel an, hielt sein Gesicht jedoch unter Kontrolle. Gleich ! , versprach er
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