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Stolperherz

Stolperherz

Titel: Stolperherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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weich meine Knie waren, und ich lehnte meinen Kopf gegen die Wand hinter mir.
    Noch mal gut gegangen, Sanny Tabor.
    Ich versuchte, meine Gedanken für einen Moment abzuschalten, die Augen zu schließen und einfach nur ruhig zu atmen, als ich ein mir sehr bekanntes schrilles Lachen vernahm.
    »Das ist aber das Mädchenklo!«, klang es viel zu laut in meinen Ohren, gefolgt von einem aufdringlichen Kichern, das nur zu einer gehören konnte: Michelle. Sie schien in Begleitung eines Jungen zu sein, und ich glaubte, die Stimme des älteren Typen vom Cocktailstand zu erkennen.
    »Doch nicht hier!«, hörte ich Michelle sagen.
    »Jetzt hab dich nicht so!«, sagte die männliche Stimme und klang ein wenig gereizt.
    »Nein, lass das!«, war Michelles Antwort. Ich konnte nichts sehen, vermutete aber, dass Michelle sich mal wieder in eine Fummelgeschichte verrannt hatte.
    »So läuft das nicht«, sagte der Typ in einem scharfen Ton, »erst anmachen und dann rumzicken!«
    Sein Tonfall klang nicht nur viel zu scharf, sondern auch ein wenig gefährlich und Michelles erneutes »Nein!« ließ mich aufschrecken. Ich zog mich an der verschlossenen Türklinke hoch.
    »Nein, lass das, hör auf damit!«, hörte ich Michelle, und anscheinend waren die anderen Toiletten immer noch nicht besetzt, denn es war kein anderes Geräusch zu vernehmen.
    »Hör auf!«
    Ich öffnete die Tür und sah, dass Michelle von Marcel, dem Jungen vom Cocktailstand, dicht an die Wand neben dem rechten Waschbecken gedrängt worden war. Er hatte sich fest an sie gedrückt und ihr T-Shirt unter der kurzen Jeansjacke hochgeschoben. Michelles zusammengekniffene Augen und ihre Arme, die versuchten, Marcel, der sie am Hals küsste, wegzudrücken, sprachen Bände.
    Ich schloss die Augen und holte tief Luft, meine Beine waren immer noch weich wie Wackelpudding. Dann ging ich einen Schritt nach vorne, öffnete die Augen wieder und atmete tief aus.
    »Lass sie los. So-fort! «
    Meine Stimme klang fest und entschlossen, und augenblicklich drehte der Junge sich zu mir um. Ich hatte richtiggelegen: Es war Marcel vom Cocktailstand. »Was willst du denn?«
    »Du lässt Michelle auf der Stelle in Ruhe, kapiert?«
    »Ich glaub, ich spinne!«, antwortete Marcel, ließ Michelle aber sofort los, »was soll der Scheiß?«
    »Das frage ich dich!«, sagte ich, verschränkte die Arme und betete, dass man mir die Wackelpuddingbeine nicht ansah.
    »Hau ab, Mädchen, sonst …«
    »Sonst was?«, erkundigte ich mich. »Holst du sonst die Polizei? Das wäre wirklich äußerst praktisch, dann könnte ich denen nämlich direkt verklickern, dass du Michelle gegen ihren Willen befummelt hast.«
    »Tzz!«, machte Marcel und sah mich irritiert an. Er war sichtlich überrascht über meinen Auftritt, das konnte ich sehen. »Sie wollte es doch selber!«
    Michelle sah mich mit aufgerissenen Augen an, ich konnte sehen, dass ihr der Schock noch ins Gesicht geschrieben stand, aber sie sagte kein einziges Wort.
    »Vielleicht wollte sie es zuerst«, sagte ich, »aber dann nicht mehr. Und das hast du zu respektieren, hörst du?«
    »Ach, leck mich doch!«, war Marcels Antwort und er rauschte an mir vorbei zur Tür.
    Sofort ging ich auf Michelle zu, blieb aber vor ihr stehen. Nach meiner Aktion von eben wusste ich jetzt auch nicht, was ich machen sollte. »Alles okay bei dir?«
    Verschämt blickte Michelle auf den Boden.
    »Das war wie ein übler Albtraum.«
    Erst jetzt merkte ich, dass sie feuchte Augen hatte.
    »Komm«, sagte ich und schob sie zum Waschbecken, »ein bisschen kaltes Wasser ins Gesicht und du bist wieder wie neu. Hat bei mir gerade auch ganz gut geholfen.«
    Michelle ließ sich bereitwillig von mir zum Becken schieben und öffnete ihre Hände, als ich den Wasserhahn aufdrehte.
    »Das war verdammt knapp«, flüsterte sie und ich wusste genau, was sie meinte. Erst langsam fiel auch von mir die Anspannung ab.
    »Ja, das war es«, sagte ich.
    Ich wusste, dass sie völlig mit den Nerven runter war, also ersparte ich ihr irgendwelche Fragen. Worauf ich mir nur wirklich keinen Reim machen konnte, war, warum sie gerade so ängstlich und erschrocken wirkte. An unserer Schule galt sie als leicht zu haben und tat auch jeden Tag ihr Möglichstes, um diesen Eindruck zu bestätigen. Doch gerade eben hatte ich in das Gesicht eines Mädchens gesehen, das mit einer derartigen Situation überhaupt nicht vertraut war, im Gegenteil: Es sah aus, als wäre sie erschrocken über ihre eigene Courage gewesen.

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