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Stolperherz

Stolperherz

Titel: Stolperherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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Michelle benetzte ihr Gesicht mit dem kühlen Wasser, genau so, wie ich es nur wenige Minuten zuvor gemacht hatte.
    Dann atmete sie tief durch, trocknete sich das Gesicht mit ihrem Jeansjackenärmel ab, zupfte ihr T-Shirt zurecht und sah mich an.
    »Hätte nicht gedacht, dass ich mal froh sein würde, ausgerechnet dich zu sehen.«
    Ich grinste. »Tja, diese Tour hält wohl so einige Überraschungen für uns alle bereit.«
    Sie sah mich an. »Dann bist du wohl sowas wie mein Schutzengel gewesen, was?«
    Ich lächelte. »Ach was …«
    »Danke.«
    Das klang echt und ehrlich, und es war das erste Mal, dass zwischen Michelle und mir keine angespannte Stimmung herrschte.
    »Da nicht für.«
    »Doch. Es tut mir leid. Alles. Ich war eine blöde Kuh.«
    »Stimmt«, sagte ich und da mussten wir beide grinsen.
    Doch schnell sah sie mich wieder ernst an.
    »Ich hab noch nie.«
    Ich wusste nicht, was sie meinte.
    »Was hast du noch nie?«
    »Sex. Ich hab noch nie Sex gehabt.«
    Verblüfft sah ich sie an, aber sie wich meinem Blick weiter aus.
    »Ernsthaft?«, fragte ich nach.
    Sie nickte stumm. Dann holte sie tief Luft und sagte: »Ich weiß, was alles über mich gesprochen wird. Und ich gebe zu, dass ich das mit meinem Verhalten auch nicht unbedingt widerlegt habe. Ich glaube, irgendwann passte mir das Image der sexy Michelle, die alles mitmacht und schon mal ausprobiert hat, ganz gut.«
    Ich war so erstaunt, dass ich gar nichts dazu sagen konnte. Aber das musste ich auch nicht, denn Michelle sprach schon weiter.
    »Und als ich merkte, dass die Jungs das irgendwie cool fanden, habe ich es dabei belassen. Nur immer wenn es weiter gehen sollte als Knutschen und ein bisschen Fummeln, da hab ich dann Schiss gekriegt.«
    Das erklärte Michelles ständig wechselnden Beziehungs-Status auf Facebook, dachte ich: Immer wenn es ernst wurde, hatte sie einen Rückzieher gemacht und die Beziehungen beendet. Allerdings wäre ich auf diese Erklärung wohl als Allerletztes gekommen.
    »Jetzt fragst du dich bestimmt, wozu das Ganze, hm?«
    Ich nickte. »Na ja, irgendwie schon …«
    »Ich weiß es selbst nicht so genau. Ich dachte immer, wenn ich den Jungs das Gefühl vermittle, dass sie alles haben können, würden sie mich mehr …«, sie hob die Schultern, »… mehr mögen. Vielleicht nicht unbedingt mehr respektieren, aber das war mir egal.«
    »Das war dir egal?«
    »Ich glaube, ich habe es mir in meiner Schublade ganz schön bequem gemacht. Wenn sowieso alle glauben, du willst nur das eine, erwartet keiner was von dir. Und so kannst du auch niemanden enttäuschen.«
    Michelles Geständnis haute mich um.
    »Ich komme mir so bescheuert vor«, fügte sie mit dünner Stimme hinzu, »wie ein kompletter Fake.«
    »Du bist kein Fake«, beruhigte ich sie, »vielleicht war das eher eine Art Schutzmauer. Ich verstehe das ganz gut, glaub mir.«
    »Doch«, wiedersprach Michelle, »ich bin ein Fake. Von Kopf bis Fuß.«
    »Wieso sagst du das?«, hakte ich nach.
    »Es ist fast alles gelogen«, machte sie weiter, »irgendwann ist das wie ein Selbstläufer.«
    »Was meinst du?«
    »Ich war noch nie in New York«, fügte sie hinzu. »Auch nicht in Las Vegas, London, Paris oder Brisbane. Im Grunde genommen bin ich überhaupt noch nie irgendwo gewesen.«
    »Puh«, sagte ich, »du meinst, wenn sie dich an einen Lügendetektor anschließen würden, würde er explodieren?«
    Ich sah, dass sie wieder ein wenig lächeln musste.
    »Genau.«
    Michelle hatte um sich herum eine Fassade aufgebaut, hinter die niemand schauen konnte und hinter der sie sich sicher fühlte. Ich erkannte überrascht, dass sie sich gar nicht so sehr von mir unterschied, denn auch ich hatte mich lange genug unter meinem Ich-bin-unsichtbar-Mantel versteckt. Doch wie das so ist mit Fassaden – irgendwann fangen sie an zu bröckeln, und dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie in sich einstürzen.
    Ich lächelte sie an und sie lächelte zurück.
    »Was für ein irrer Tag.«
    »Stimmt«, war Michelles Antwort. »Aber hey, haben wir nicht noch dringend was zu erledigen?«
    Ich sah sie fragend an. In dem Moment öffnete sich die Tür und Kira steckte ihren Kopf hinein. »Ach hier seid ihr! Ich hab euch schon überall gesucht!«
    Erleichtert kam sie zu uns.
    »Gab’s Zickenstress, oder wie soll ich die traute Zweisamkeit hier verstehen?«, feixte sie und sah zuerst Michelle an und dann mich. In Michelles Blick lag etwas, das ich ganz genau zuordnen konnte, etwas, das ich ganz genau

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