Stolz der Kriegerin
Tirah von ihren Wunden genesen.«
»Im Nordkrieg hat sie Lin’Whiran gegen die Völker des Westens verteidigt«, erklärte Rogon mit leuchtenden Augen. »Mein Großvater hat sie damals selbst gesehen. Doch im Südkrieg haben die violetten Völker ihren Schwertarm schmerzlich vermisst!«
»Sirrin war zu beschäftigt gewesen und fand nicht die Zeit, sie zu wecken. Aber nun komm!« Sung trat auf den eingestürzten Torbogen zu und zog einen anderen Kristall aus seiner Heilertasche. Im selben Augenblick richteten sich die gefallenen Säulen wieder auf und gaben den Weg frei. Das steinerne Tor des Tempels öffnete sich, und Rogon sah eine Treppe vor sich, die in die Tiefe führte.
»Der Raum, in dem Tirah liegt, befindet sich unter der Erde und wird gut bewacht. Du kannst aber ohne Sorge eintreten, denn ich kenne die geheimen Worte, die uns als Freunde ausweisen.« Mit einer einladenden Geste forderte Sung Rogon auf, näher zu kommen, und überließ ihm den Vortritt. Während der Prinz langsam die Treppe hinabstieg, blickte Sung sich hilfesuchend um. Wenn Sirrin vor ihnen angekommen wäre, hätte sie ihm längst ein Zeichen gegeben. Dann aber erinnerte er sich daran, dass er und Rogon schneller gereist waren, als er es mit ihr abgesprochen hatte. Er zählte nach und begriff, dass er wahrscheinlich noch vier oder fünf Tage auf das Erscheinen der Evari würde warten müssen.
Wie er Rogon inzwischen kennengelernt hatte, würde er ihn nicht dazu bringen, so lange hierzubleiben. Allein schon die knapp werdenden Wasservorräte würden den Prinzen veranlassen, den Tempel und die Ödlande so schnell wie möglich zu verlassen. Sungs Hand stahl sich in seine Heilertasche, und er fühlte den Stein, den er vorhin mitgenommen hatte, warm in seiner Hand.
Ohne etwas von den Gedanken seines Begleiters zu ahnen, drang Rogon immer tiefer in das Gemäuer ein. Längst sah der Tempel nicht mehr wie eine Ruine aus. Die Wände und die Decke waren glatt, ebenso die Stufen der Treppe, die schließlich vor einer weiteren steinernen Tür endete.
»Du kannst sie aufstoßen«, rief Sung, als Rogon sich fragend zu ihm umwandte. Die Hand mit dem Stein hielt er hinter seiner Heilertasche verborgen.
Zunächst ließ die Tür sich nicht bewegen. Mit einem ärgerlichen Knurren stemmte Rogon sich mit der Schulter dagegen, und als Sung geistig die Verriegelung freigab, stürzte er in den Raum hinein und landete auf allen vieren. In dem Moment, in dem er auf die Beine kam, war der Heiler hinter ihm und schlug ihn mit dem Stein nieder.
Mit einem erstickten Laut fiel Rogon um und landete vor einer Art Altar. Dieser bestand aus einem hüfthohen, vier Schritt langen und zwei Schritt breiten Block aus violett geädertem Stein. Auf dem Stein lag eine Frau in einer altertümlichen Rüstung unter einem violettmagischen Feld. Ihr Gesicht war ebenso starr wie ihr Leib, und obwohl die Lider der violett leuchtenden Augen geöffnet waren, schien ihr Geist so fern zu sein wie die Sonne.
Sung neigte kurz das Haupt, merkte dann, dass er noch den Stein in der Hand hielt, und ließ das Ding erschrocken fallen. Dann beugte er sich über Rogon und prüfte dessen Puls. Obwohl der Prinz eine heftig blutende Platzwunde am Hinterkopf davongetragen hatte, schlug sein Herz stetig und kraftvoll. Viel Zeit blieb Sung also nicht, wollte er nicht riskieren, dass sein Opfer zu früh aus seiner Bewusstlosigkeit erwachte.
Rasch bereitete er alles für die Zeremonie vor. Er legte Rogon so an den Steinblock, dass er und Tirah Kopf an Kopf lagen, nahm ihm die Waffen ab und warf alles in die hinterste Ecke. Dann trat er zu der Rückwand und öffnete eine Geheimtür. Dahinter kam eine große, flache Schale zum Vorschein, die aus einem einzigen, hochmagischen Halbedelstein geschnitten worden war. Als er sie zwischen Tirah und Rogon auf den Altarblock legte, begann die Schale, leise zu summen.
Zufrieden trat Sung zurück. Die Schale würde Rogon Kraft entziehen und Tirah damit neues Leben einhauchen. Ein wenig tat es ihm um den Prinzen leid. Doch wenn Rogon stark genug war, würde er es überleben. Allerdings wusste der Heiler nicht, ob er sich das wünschen sollte. Er fürchtete den Zorn des jungen Mannes, den er hintergangen hatte. Doch als er sich daran erinnerte, wie schwach jene beiden Opfer gewesen waren, die die Zeremonie überlebt hatten, schwand seine Furcht. Auch Rogon würde danach mit Sicherheit nicht mehr in der Lage sein, Rache zu üben.
Das Summen der Schale verstärkte
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