Stolz der Kriegerin
Dornen hätten aufgehalten werden sollen. Bei dem Gedanken betrachtete er die Risse und Schrunden auf Rogons Händen. Sie hätten entzündet sein und eitern müssen. Doch genau das taten sie nicht. Wie es aussah, würde die Kruste in ein oder zwei Tagen abfallen, ohne Narben zu hinterlassen.
Damit hatte Sung bei Rogon eine weitere unterbewusste Fähigkeit entdeckt, nämlich die einer gewissen Selbstheilung. Doch selbst diese Erfahrung wurde kurz darauf durch ein noch erstaunlicheres Ereignis übertroffen. Eben hatte Rogon die letzten Dornen abgehackt und steckte sein Schwert in die Scheide. Vor ihnen lag eine steinige Ebene, über die unterschiedliche magische Wirbel zogen. Einer davon war grün, und Sung wollte Rogon davor warnen. Doch da tauchte dieser bereits in die grüne Wolke ein. Als magisch begabter Blauer hätte er vor Schmerzen schreien und zusammenbrechen müssen. Doch er verzog nur kurz sein Gesicht und ging schneller, um diese Stelle hinter sich zu lassen.
»Wie hast du das gemacht?«, fragte Sung fassungslos.
»Was soll ich gemacht haben?«, kam die Gegenfrage.
»Du bist eben mitten durch ein grünes Feld gelaufen – und das ist doch deine Feindfarbe.«
Rogon zuckte mit den Achseln. »Ein bisschen Grün habe ich gespürt, aber es war nicht so stark, als dass es mich hätte behindern können!«
»Nicht so stark!«, rief Sung verblüfft.
Er selbst hätte es trotz Sirrins Abwehrartefakt nicht gewagt, ein gelbes Feld gleicher Stärke zu betreten. Rogon wurde ihm immer unheimlicher. Dann beruhigte er sich mit dem Gedanken, dass sich eine starke blaue Abschirmmagierin in dessen Ahnenreihe befinden musste und ihm diese Fähigkeit vererbt hatte. Für ihn hieß dies, noch rascher zu handeln.
Hoffentlich hat Sirrin den Tempel bereits erreicht, dachte er, denn er wusste nicht, ob er es wagen konnte, auf sie zu warten.
☀ ☀ ☀
Nach zwei weiteren Tagen war Sung so erschöpft wie ein abgetriebener Gaul. Um schneller vorwärtszukommen, hatte er Rogon und sich selbst zu Tagesstrecken gezwungen, bei denen selbst einem Gurrim die Knie weich geworden wären. Doch nun lag ihr Ziel nur noch wenige Stunden vor ihnen. Als der Heiler stehen blieb, um zu verschnaufen, musterte er die Umgebung. Auf den ersten Blick unterschied sie sich nicht von den übrigen Ödlanden. Das Dornengestrüpp, das hier wuchs, war von Sirrin jedoch magisch verändert worden und hielt selbst Rogons Klinge stand. Das war eine der Sicherungsmaßnahmen, mit dem Sirrin Unbefugte von dem kleinen Tempel fernhalten wollte, in dem die größte Kriegerin der violetten Farbe darauf wartete, wieder ins Leben zurückgerufen zu werden.
»Ich glaube, wir haben eine Pause verdient. Komm, setzen wir uns dort vorne auf den Stein und trinken ein wenig Wasser.« Sung wies auf eine leichte Erhöhung und ging darauf zu.
»Wir sollten sparsamer mit dem Wasser umgehen. Immerhin haben wir schon über die Hälfte verbraucht«, wandte Rogon ein.
Der Heiler hob beschwichtigend die Hand. »Mach dir keine Sorgen. Ich kenne in der Nähe eine Quelle, deren Wasser wir trinken und mit dem wir unsere Vorräte auffüllen können.«
Rogon schien es, als würde Sung nicht die Wahrheit sagen. Dies ärgerte ihn, denn zu Hause in Andhir hatte er geglaubt, in dem Heiler einen Freund zu finden. Diese Hoffnung war aber im Verlauf der Reise immer mehr geschwunden.
Während Rogon seinen Gedanken nachhing, öffnete Sung den Wasserschlauch und trank einen gehörigen Schluck. In den nächsten Stunden würde er jedes Quentchen Kraft brauchen, das er besaß, und sehr viel Glück. Noch wusste er nicht, was er tun sollte, wenn Sirrin nicht da war. Ein etwas mehr als faustgroßer Stein, der einladend neben seinem rechten Fuß lag, brachte ihn auf eine Idee. Als Rogon in eine andere Richtung schaute, hob er den Stein auf und ließ ihn in seiner Heilertasche verschwinden. Danach atmete er mehrmals tief durch und sah Rogon auffordernd an.
»Du solltest ebenfalls trinken, damit wir weitergehen können!«
Der junge Mann griff nach dem Wasserschlauch und schüttelte ihn kurz. »Viel ist da wirklich nicht mehr darin. Wir sollten daher als Erstes zu deiner Quelle gehen.«
»Wenn wir das tun, erreichen wir den Ort, an dem Tirah liegt, nicht mehr bei Tageslicht. Dabei dachte ich, du willst sie unbedingt sehen. Wer weiß, vielleicht gelingt es uns sogar, sie wiederzuerwecken. Sie würde dich gewiss als Kampfgefährten akzeptieren. Wäre das nicht in deinem Sinn?«
Sungs künstliche
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