Stolz und Verfuehrung
Potheridge war zu Ems, Issys und Henrys Vormund ernannt worden und hatte die drei zu sich genommen, nach Runcorn Manor in Leicestershire, während die Zwillinge natürlich bei ihrer Mutter Susan in York geblieben waren.
Em und Issy hatten Susan regelmäßig geschrieben. Die Antwortbriefe waren immer fröhlich gewesen. Aber nachdem die Zwillinge nach dem Tod ihrer Mutter im Alter von neun Jahren verwaist und unangekündigt auf Harolds Türschwelle aufgetaucht waren, hatten Em und Issy aus den unschuldigen Erzählungen der beiden Mädchen bald geschlossen, dass in York nicht alles so verlaufen war, wie Susan sie hatte glauben machen wollen.
Ganz sicher hatte die Heirat, von der sie ihnen berichtet hatte, nicht stattgefunden.
Und die Zwillinge hatten keinerlei Ausbildung erhalten.
Em war entschlossen, wenigstens den letzten Fehler zu korrigieren. Glücklicherweise waren die Zwillinge ebenfalls Colytons - mit wachem Verstand, rascher Auffassungsgabe und lernfähig, wenn man sie dazu bewegen konnte, sich auf ihre Lektionen einzulassen.
Unglücklicherweise war es - trotz der den Colytons eigenen Wissbegier - keine einfache Aufgabe, sie dazu zu bringen, sich auf ihren Unterricht zu konzentrieren.
Em ließ den Blick zu Henry schweifen. Er hatte sie niemals vor solche Herausforderungen gestellt. Im Gegenteil, er liebte das Lernen; es war sein Weg, weit über räumliche Grenzen hinaus auf Entdeckungsreise zu gehen. »Wir werden uns erkundigen und einen Lehrer für dich finden. Wir sollten deinen Unterricht nicht schleifen lassen.«
Henry nickte auf seine ernste Weise. »Ich werde euch trotzdem im Gasthaus helfen. Das ist nur fair.«
Em nickte zustimmend, wechselte aber wieder einen Blick mit Issy. Gemeinsam würden sie dafür sorgen, dass Henrys Unterricht den größten Teil seiner Zeit beanspruchte. Es gehörte zu einer Übereinkunft, die sie vor langer Zeit mit Harold getroffen hatte - und in die Henry niemals eingeweiht worden war -, dass der alte Mann als Gegenleistung für ihre und Issys Dienste in seinem Haus beim ansässigen Pfarrer Unterricht für Henry arrangieren würde. Der Pfarrer hatte in Oxford studiert und war ein scharfsinniger Gelehrter.
Harold hielt sich an diese Abmachung, wohl wissend, dass er Em und Issy damit an die Aufgaben fesselte, die er für sie vorgesehen hatte - bereitwillig sein Haus zu führen und unentgeltlich für seine Bequemlichkeit zu sorgen. Das hieß, dass Henry nun auf dem besten Weg zu einer Gelehrsamkeit war, die er sich immer erträumt hatte; er musste sich auf die Aufnahmeprüfung an der Universität vorbereiten, obwohl es bis dahin noch einige Jahre dauern würde.
»Erzähl uns noch mal von dem Schatz.« Gertie hopste in einem Lehnstuhl auf und ab und wirbelte eine Staubwolke auf.
Sofort tat Bea es ihr in dem anderen Lehnstuhl nach. Mit dem gleichen Ergebnis.
»Falls ihr still sitzt«, warf Em rasch ein. Weil die Zwillinge niemals müde wurden, sich die Geschichte vom Familienschatz anzuhören, erstarrten sie weisungsgemäß, den Blick erwartungsvoll auf ihre Schwester gerichtet. Em schaute zu Issy hinüber.
Die sie mit einer Geste aufforderte weiterzusprechen. »Wir haben jede Menge Zeit. Ich habe den Topf in den Ofen gestellt. Das Essen gibt selbst auf sich acht.«
Issy und Henry quetschten sich auf das Sofa. Em notierte sich in Gedanken, ordentlich Staub zu wischen, bevor sie sich heute Nacht schlafen legte, ließ den Blick über ihre Geschwister schweifen und begann zu erzählen. »Vor vielen Jahren, es war die Zeit von Sir Walter Raleigh und den spanischen Eroberern, nahm ein Colyton - er war ein Freibeuter und Kapitän eines eigenen Schiffes - eine spanische Galeone gefangen, die einen Schatz an Bord hatte.«
Sie fuhr fort, den Kapitän zu beschreiben, sein Kommando, die Seefahrt und die Schlacht, und schloss mit dem erstaunlichen Sieg, den ihr Vorfahr errungen hatte. »Als Anteil an der Beute brachte er eine Truhe nach Hause, angefüllt mit Gold und Juwelen. Seine Ehefrau, die hier in Colyton das Haus führte, sagte ihm, dass die Familie schon genügend Reichtümer besaß. Denn sie wusste, dass der Schatz eines Tages nur in noch mehr Schiffe und riskante Seefahrten investiert werden würde, wenn er in den Händen ihres Ehemannes und seiner Brüder verbleiben würde. Denn die Männer waren Abenteurer, wie alle Colytons.
Stattdessen schlug sie vor, dass der größte Teil des Schatzes an einem Ort versteckt werden sollte, den nur die Colytons finden konnten. Falls
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