Stolz und Verfuehrung
Entscheidung treffen.
Doch sie hatte nicht die Absicht, Coombe ihr Vertrauen zu schenken, noch nicht einmal in Bezug auf eine Handvoll Münzen. Mit Lucifer war es natürlich etwas anderes. Schon in frühen Jahren hatte das Leben sie gelehrt, Vorsicht walten zu lassen; leichtgläubig war sie daher nie gewesen. Aber sie vertraute auch auf ihre Instinkte, und die hatten nicht lange gezögert, Lucifer zu akzeptieren ... ähnlich wie sie Jonas akzeptiert hatten. Als ehrenwerten Mann.
Mehr noch. Zusammen mit Phyllida hatte Lucifer bei ihr und ihren Geschwistern ein Ansehen gewonnen, das ihn fast zur Familie gehören ließ. Em beschloss, sein Angebot anzunehmen, den Wert der Juwelen und Münzen zu schätzen. Anschließend würde sie mit ihm, mit ihren Geschwistern und Jonas, mit Joshua und Phyllida darüber sprechen, was man am klügsten damit anstellte.
Es kam ihr seltsam vor, andere Menschen um sich zu haben - andere Erwachsene ebenso wie Issy und Henry -, mit denen sie ihre Überlegungen teilen konnte und deren Meinungen sie schätzte. Es war ungewohnt für sie.
Em bemerkte, dass ihre Mundwinkel sich unwillkürlich nach oben gezogen hatten. Als sie nach dem Stift griff und sich wieder auf die Buchhaltung konzentrierte, gestand sie sich ein, dass es eine Wohltat war, solche Menschen in ihrer Nähe zu wissen.
Ihr Tag verging so geschäftig wie immer. Die Menschen von den weiter entfernt liegenden Bauernhöfen kamen ins Gasthaus, um sich die Geschichte erzählen zu lassen. Der Schatz war weggeschlossen und nicht zu besichtigen, doch es hielten sich viele Männer und Frauen im Schankraum auf, die ihn am vergangenen Tag mit eigenen Augen gesehen hatten und seine Pracht den weniger glücklichen Nachbarn lebhaft beschrieben.
»Das ist nicht zu vermeiden«, meinte Jonas später, als Ruhe eingekehrt war und er hinter ihr die Treppe hinaufstieg, »wir leben hier auf dem Land. Neuigkeiten verbreiten sich in Windeseile in alle Richtungen. Natürlich auch die Neuigkeit, wo der Schatz gegenwärtig verwahrt wird und dass die Gefängniszellen unter dem Gasthaus unbezwingbar sind.«
»Das will ich sehr hoffen.« Auf dem oberen Treppenabsatz drehte Em sich zur Tür ihres Wohnzimmers, öffnete sie weit... und schnappte entsetzt nach Luft.
»Was?« Jonas war sofort hinter ihr, schloss die Hände schützend um ihre Schulter und spähte über ihren Kopf hinweg.
Auf die Verwüstung drinnen.
Die Erschütterung hatte sie für einige Sekunden fest im Griff. Sie ließen den Blick über die umgestürzten Möbel schweifen, über die Kissen, die in alle Richtungen verstreut lagen, über die Kommode mit den herausgerissenen Schubladen und über den auf dem gesamten Fußboden verteilten Inhalt - die leeren Schubladen waren zusammen mit dem Teppich zur Seite geworfen worden.
»Was zum Teufel ...« Mit grimmiger Miene schob Jonas sie zur Seite und trat ins Zimmer. Nichts schien zerstört; der Einbruch war offenbar nicht blindem Vandalismus geschuldet.
Jonas ließ den Blick nochmals durch das Zimmer schweifen und eilte dann zur Schlafzimmertür, die er weit öffnete. Drinnen bot sich der gleiche Anblick wie im Wohnzimmer - die Decken waren vom Bett gerissen, die Unterseite der Matratze zuoberst gestürzt, die Schranktüren auf- und jede Schublade herausgerissen und auf dem Fußboden geleert. Sogar die dicken Vorhänge waren beiseitegeschoben worden.
»Sie haben nach dem Schlüssel gesucht«, sagte Em direkt hinter ihm.
Jonas betrachtete ihr blasses Gesicht. Nickte. »Sieht danach aus.«.
Er trat durch die Tür und bahnte sich den Weg durch das Zimmer. Auch auf eine Durchsuchung des kleinen Badezimmers war nicht verzichtet worden.
Die Tür zur hinteren Treppe stand weit offen.
Mit dünnen Lippen untersuchte Jonas das Türholz. »Kein Schloss.« Es gab noch nicht einmal einen Riegel, den Em zur Sicherung der Tür vorschieben konnte. Als er sich umdrehte, bemerkte er, dass sie auf die in Unordnung gebrachten Handtücher starrte. »Wenn du einverstanden bist, werde ich Thompson herschicken, um Riegel an der Tür anbringen zu lassen.«
Seine Stimme schien sie aus ihrer Schockstarre zu erlösen. Em schaute ihn an; es dauerte einen Moment, bis seine Worte zu ihr durchgedrungen waren und sie nickte. Zitternd schlang sie die Hände um ihre Oberarme. »Ja, bitte, tu das. Andernfalls werde ich nie wieder in der Lage sein, allein hier zu schlafen.«
Sie wird ohnehin nie wieder allein schlafen, weder hier noch andernorts, dachte er, hielt die Worte
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