Stolz und Verfuehrung
sich aber dennoch all ihre Sinne richteten. Ein durchdringendes Gefühl gemeinsamer Kraft, eines gemeinsamen Friedens durchströmte sie.
Em wusste nicht, wie lange sie in seinen Armen gelegen hatte, abgeschottet von der Welt. Sie hatte keine Ahnung, wie lange diese Aura des Friedens sie durchflutet hatte, doch als sie sich schließlich regte, den Kopf hob und ihn anschaute, fühlte sie sich erfrischt und belebt.
Seine Züge waren so entspannt, so frei von Schmerz, dass sie glaubte, er würde schlafen. Em musterte sein Gesicht, lehnte sich dann zu ihm und hauchte ihm einen federleichten Kuss auf das Kinn, zögerte und wiederholte die Zärtlichkeit dann auf seinen Lippen.
Die sich nach oben bogen.
Die Wimpern hoben sich nur einen Sekundenbruchteil, aber doch so weit, dass sie das dunkle Glitzern in seinen Augen erkennen konnte. »Willst du gehen?«, fragte Jonas mit schläfriger Stimme.
Em lächelte. »Sollte ich jedenfalls.« Sie ließ den Blick über seinen Kopfverband schweifen. »Du musst dich ausruhen und erholen.«
»Das werde ich. Später wird es mir wieder gut gehen.« Jonas hob die Hand und schob eine wirre Locke hinter ihr Ohr zurück. »Ich werde dich heute Nacht besuchen. Es könnte aber sein, dass ich erst später bei dir bin.«
Stirnrunzelnd wollte Em Widerspruch einlegen - den er mit einem Finger auf ihren Lippen erstickte. »Nein. Keine Diskussion. Du bist jetzt hier bei mir. Aus gleichen Grund werde ich heute Nacht bei dir sein.«
Aufmerksam musterte Em sein Gesicht, begriff, was er sagen wollte - dass er wiederum verstand, wie sie sich fühlte. Und er hatte recht; sie durfte nicht widersprechen, nicht wenn sie für sich dieselben Rechte beanspruchte, die er ihr so beharrlich abgerungen hatte - nämlich für ihn zu sorgen und ihn zu schützen.
»Einverstanden. Aber du musst mir versprechen, dass du vorsichtig bist. Besonders wenn du nachts den Wald durchquerst.«
Jonas lächelte. »Der Kerl wird mich kein zweites Mal erwischen. Das letzte Mal habe ich nicht aufgepasst. Außerdem weiß er jetzt, dass ich den Schlüssel nicht bei mir trage. Welchen Grund sollte er also haben, mich zum zweiten Mal zu durchsuchen?«
Em verzog das Gesicht. »Vermutlich keinen.«
»In der Tat. Übrigens ...« Er gab sie frei, schaute zum Nachttisch hinüber. Em stieg vom Bett, zog fragend die Brauen hoch. »Zieh die Schublade auf«, wies er sie an, »der Schlüssel liegt drinnen.«
Em gehorchte und entdeckte den Schlüssel gleich vorn.
Er lehnte sich wieder in die Kissen zurück. »Wann immer du ihn brauchst und ich nicht hier bin, dort liegt er.«
Em schaute ihn an und schloss die Schublade. »Hier ist er sicher.«
Jonas hatte die Augen bereits wieder geschlossen. Sie lehnte sich über ihn und küsste ihn ein letztes Mal. »Wir sehen uns heute Nacht.«
»Mhh.« Seine Lippen bogen sich zu einem Lächeln. Beruhigter als sie gekommen war, verließ Em sein Schlafzimmer und schloss sanft die Tür hinter sich.
Es war beinahe neun Uhr abends, als Dodswell sie im Schankraum entdeckte und ihr eine Nachricht in die Hand drückte.
»Er sagte«, bemerkte er grinsend, »ich dürfe sie nur Ihnen persönlich geben und niemandem sonst. Und dass ich vorher nicht zu Bett gehen dürfe.«
Em lächelte. »Vielen Dank.« Sie verkniff sich die Frage nach Jonas’ Gesundheit. Zweifellos würde sie alles aus seinem Brief erfahren.
Em stopfte sich den Zettel in die Tasche und bemühte sich, ihre Plauderei mit den neu eingetroffenen Übernachtungsgästen abzukürzen. Die Nachricht von der Wiedereröffnung und der guten Verpflegung des Red Beils Inn verbreitete sich rascher, als sie zu hoffen gewagt hatte. Inzwischen hatte sie zwei weitere Gästezimmer geöffnet, die jede Nacht belegt waren, und die Mädchen waren fieberhaft mit der Herrichtung zusätzlicher Räume beschäftigt.
Em schaute den Gästen auf dem Weg nach oben nach, verschwand dann in ihrem Büro und zog Jonas’ Nachricht aus der Tasche. Sie faltete das Papier auf, glättete es und hielt es unter das Licht der Lampe.
Liebste Em,
mit unendlichem Bedauern muss ich Dir leider mitteilen, dass mir der Kopf immer noch zu sehr schwirrt, sobald ich mich aufrichte, sodass ich es nicht riskieren möchte, mich auf den Weg zum Gasthaus zu machen.
Ich habe Lucifer gebeten, später nach Dir zu sehen und sich davon zu überzeugen, dass alles in Ordnung ist.
Wir sehen uns morgen. Gib bis dahin gut auf Dich Acht. Dein Jonas
Em las die Nachricht zweimal und schnaubte.
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