Stolz und Verfuehrung
sich aber gerade noch rechtzeitig daran, wie schmerzhaft das sein konnte. »Lassen Sie es mich wissen, sobald Potheridge wieder auftaucht. Ich bin im Gutshaus.«
»Jawohl.« Dodswell verabschiedete sich und folgte ihnen nach draußen. Em, Jonas und John Ostler schlugen den schmalen Pfad durch den Wald ein, der auf den Hauptweg traf.
Als sie endlich das Gutshaus erreicht hatten, biss Jonas vor Schmerz die Zähne zusammen. Em bemerkte seine verräterische Anspannung, schluckte ihren Vorwurf aber hinunter. Wem nützte es? Wenn sie niedergeschlagen worden wäre, hätte sie sich doch auch am liebsten in ihr eigenes Bett gelegt.
Aber anstatt sofort das Bett aufzusuchen, musste Jonas erst Gladys’ fürsorgliche Bemerkungen und die nachfolgenden Pflegemaßnahmen über sich ergehen lassen. Em war erleichtert. Wenn sie selbst sich schon nicht um ihn kümmern konnte, dann war es das Beste, ihn unter Gladys’ strengem und aufmerksamem Blick zu wissen.
Sie schaute zu, wie Gladys vorsichtig Hildas Verbände entfernte und sanft ein wenig Salbe auf die Verletzung aufbrachte.
Em presste die Hände fest zusammen - um zu verhindern, dass sie nach seiner Hand griff und sie nie mehr losließ - und versuchte, gelassen zu wirken.
Doch sie war immer noch besorgt und bereit, jederzeit zu reagieren. Ihre ganze Aufmerksamkeit war auf ihn gerichtet. Wenn sie an diesem Tag überhaupt etwas gelernt hatte, dann, wie viel er ihr inzwischen bedeutete - wie kostbar er ihr geworden war.
All das traf sie wie ein Schlag. Denn es war eine vollkommen neue Erfahrung, eine Erschütterung des Herzens, wie sie sie bisher noch nicht hatte durchleben müssen; noch nie hatte es außerhalb ihrer eigenen Blutsverwandtschaft einen Erwachsenen gegeben, mit dem sie sich so innig verbunden gefühlt hatte.
Obwohl sie noch unerfahren war, wusste sie, dass ihre große Sorge um ihn ihre Verbundenheit unmittelbar widerspiegelte.
Widerspiegelte, wie sehr sie ihn liebte.
Die Colyton in ihr genoss neue Erfahrungen, aber auf diese Erfahrung hätte sie gut verzichten können. Ihn so schmerzerfüllt zu sehen, zu wissen, dass es nur wenig gab, womit sie seinen Schmerz lindern konnte, dieser Anblick brach ihr beinahe das Herz.
Schließlich hatte Gladys ihre Arbeit beendet, trat zurück und betrachtete ihren Patienten. »Sie bleiben hier jetzt ganz ruhig liegen und trinken das Zitronenwasser, wenn Sie durstig sind. Ich werde wieder nach Ihnen sehen, bevor wir das Abendessen vorbereiten.«
Jonas lag ausgestreckt auf dem Bett und lächelte schwach. »Vielen Dank, meine liebe Gladys. Ich verspreche, mich genau so zu verhalten, wie Sie es befohlen haben.«
Gladys stieß ein zweifelndes »Hm« aus, nickte Em wissend zu und verließ das Zimmer. Leise fiel die Tür hinter ihr ins Schloss.
Jonas betrachtete die Tür, zog die Brauen hoch. Gladys wusste eindeutig mehr, als sie durchblicken ließ.
Jonas lächelte entspannt und ließ den Blick zu Ems blassem Gesicht schweifen. Er streckte ihr die Hand entgegen, lockte sie mit einem Finger heran. »Komm her und setz dich zu mir.«
Em gehorchte, ließ die Finger in seine Hand gleiten und stützte sich auf das Bett. Jonas schaute zu ihr auf, lächelte, zog sie dann absichtlich langsam zu sich herunter, bis ihre Lippen sich zu einem leichten, sanften, seligen Kuss trafen.
Anstatt ihr zu erlauben, sich wieder aufzurichten, schloss Jonas die Arme um sie und zog sie quer über sich aufs Bett, bis sie den Kopf an seine Schulter lehnte.
Er hielt sie einfach nur fest.
Zog Trost und Wärme aus ihrer Anwesenheit, aus der Nähe, die mehr als nur körperlich war. Spürte, wie eine besänftigende Ruhe in seine Gliedmaßen einkehrte, die sich unaufhaltsam den Weg durch seinen Körper bahnte und allein daher rührte, dass er sie warm und lebendig in den Armen hielt, dass er ihre weichen weiblichen Rundungen spürte.
Em hielt ihn, brauchte ihn auf eine Art, die nichts mit ihrem körperlichen Verlangen zu tun hatte; brauchte und akzeptierte ihn so, wie er war.
In diesem ausgedehnten Moment stiller Ruhe spürte er die Kraft der Liebe, erfuhr und lernte mehr über ihre Stärke. Über den Trost und die Unterstützung, die die Liebe bot.
Und empfand es als einen Segen.
Em lag in seinen Armen und lauschte seinem stetigen, starken Herzschlag, einem unendlichen, pochenden Geräusch, das ihr wie ein Anker war und sie die Anspannung der vergangenen Stunden vergessen ließ.
Leise und ruhig war der Herzschlag, der nicht ihr eigener war, auf den
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