Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
schrecklich schlechtes Licht es Mr. Darcy setzen würde, wollte man annehmen, daß er seines Vaters Liebling, für den zu sorgen sein Vater versprochen hatte, so übel behandelt habe. Nein, nein, unmöglich! Niemand kann so wenig menschlich, so wenig auf seinen eigenen Wert bedacht sein, daß er einer solchen Tat fähig wäre. Und seine besten Freunde sollten sich so in ihm getäuscht haben? Oh, gewiß nicht!«
»Auf jeden Fall fällt es mir leichter, anzunehmen, daß Mr. Bingley sich täuschen läßt, als daß Mr. Wickham die Geschichte gestern abend erdichtet haben soll. Die Namen, die Ereignisse, alles, was er sagte, klang ganz natürlich. Mr. Darcy soll das Gegenteil beweisen, wenn er es kann!«
»Du hast recht, es ist eine verzwickte Sache und bedauerlich ist sie obendrein; man weiß wirklich nicht, was man von all dem halten soll.«
»Entschuldige, meine Liebe, man weiß sehr wohl, was man davon halten soll!«
Aber Jane wußte nur eins mit Bestimmtheit: daß Mr. Bingley, wenn er wirklich das Opfer einer Täuschung sein sollte, darunter leiden würde, sobald die Geschichte ruchbar wurde.
Die beiden jungen Mädchen wurden in ihrer Unterhaltung, die im Garten stattfand, durch die Ankunft einiger der Personen, von denen die Rede gewesen war, unterbrochen: Mr. Bingley und seine Schwestern waren selbst nach Longbourn gekommen, um die Einladung für den langerwarteten Ball auf Netherfield zu überbringen. Der kommende Dienstag war dafür ausersehen.
Die beiden Damen waren überglücklich, ihre liebste Freundin wiederzusehen, nannten die Tage, die sie sich nicht mehr getroffen hatten, eine Ewigkeit und erkundigten sich wiederholt, was sie in der ganzen Zeit seit ihrer Trennung getrieben habe. Der übrigen Familie schenkten sie kaum Beachtung. Sie vermieden nach Möglichkeit, in Mrs. Bennets Nähe zu kommen, richteten hier und da ein Wort an Elisabeth und übersahen alle anderen vollkommen. Sie brachen sehr bald wieder auf und nahmen so hastigen Abschied, als flüchteten sie vor Mrs. Bennets überschwenglicher Höflichkeit.
Die Aussicht auf den Ball in Netherfield rief allgemeinen Jubel unter den Damen der Familie hervor. Mrs. Bennet fühlte sich berechtigt, darin eine besondere Artigkeit gegenüber ihrer ältesten Tochter zu sehen, und empfand es als besonders schmeichelhaft, daß Mr. Bingley die Einladung selbst überbracht hatte. Jane malte sich einen fröhlichen Abend in Gesellschaft der Geschwister Bingley aus. Elisabeth freute sich darauf, den ganzen Abend mit Mr. Wickham tanzen zu dürfen und in Mr. Darcys Gesicht die Bestätigung alles Gehörten zu entdecken. Das frohe Vorgefühl von Lydia und Kitty richtete sich weniger auf irgend etwas oder irgend jemanden im besonderen; wenn sie auch ebenso wie Elisabeth beabsichtigten, den ganzen Abend mit Mr. Wickham zu tanzen, so war er doch beileibe nicht der einzige, mit dem zu tanzen ihnen Spaß gemacht hätte: schließlich war ein Ball, von welcher Seite man es auch betrachten mochte, ein Ball. Und sogar Mary glaubte, ihrer Familie versichern zu können, daß sie eine Teilnahme an dem Fest durchaus in Erwägung ziehe.
»Solange ich meine Vormittage ungestört für mich haben kann«, meinte sie, »genügt mir das. Ich halte es nicht für berechtigt, die gelegentliche Teilnahme an einer Abendunterhaltung als ein Opfer zu bezeichnen. Genau genommen hat die Gesellschaft einen Anspruch auf uns alle; und ich muß mich offen zu der Meinung bekennen, daß Mußestunden und Vergnügungen in gewissen Grenzen einen wohltuenden Einfluß ausüben können.«
Elisabeth war so gut gelaunt, daß sie, die Mr. Collins anzureden sonst möglichst vermied, ihn fragte, ob er ebenfalls die Einladung annehmen wolle und falls ja, ob er seine Teilnahme an dem abendlichen Tanzvergnügen für schicklich halte. Sie war recht erstaunt zu erfahren, daß er keinerlei Bedenken in dieser Beziehung hegte, und daß er weder einen Verweis seines Bischofs, noch einen Tadel von Lady Catherine de Bourgh fürchtete, wenn er sich am Tanzen beteiligte.
»Ich versichere Ihnen, liebe Cousine, daß ich durchaus nicht der Ansicht bin, ein Ball dieser Art, von einem vortrefflichen jungen Mann für seine nicht weniger ehrbaren Freunde veranstaltet, könne einem verwerflichen Zweck dienen. Nichts könnte mir ferner sein, als einen Einwand gegen das Tanzen vorzubringen, und ich hoffe sehr, im Laufe des Abends die Ehre zu haben, meine sämtlichen schönen Cousinen auffordern zu dürfen. Ich möchte auch gleich
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