Stone Girl
gegessen. Sie sagt, du seist mit dem Messer in die Butter gefahren und hättest es dann so hoch über die Brösel gehalten, dass die Butter gar nicht mit dem Brot in Berührung kommen konnte.«
Wieder muss Sethie kurz nachdenken. Sie hat den Brunch völlig anders in Erinnerung. Sie sieht das Buttermesser vor sich, genauso das Brot mit den Nüssen und Rosinen. Sie erinnert sich daran, wie sie das Brot in Stücke geteilt und zum Mund geführt hat. Aber an das Knacken der Nüsse zwischen ihren Zähnen oder den Geschmack der Butter auf ihrer Zunge, daran erinnert sie sich tatsächlich nicht.
»Sethie?«, unterbricht Janey ihre Gedanken.
»Ich esse«, erwidert Sethie beharrlich. Sie denkt an das Müsli, den Joghurt, den Hühnersalat. Bei der Gelegenheit wird ihr klar, dass seit Wochen oder vielleicht Monaten keines dieser Lebensmittel in der Küche fehlt. Hat ihre Mutter ihre Essgewohnheiten beobachtet? Hat sie die Küche mit Nahrungsmitteln aufgestockt, von denen sie weiß, dass Sethie sie isst? Hat sie Angst, Sethie würde eines Tages einfach zu essen aufhören, wenn sie nichts findet, was ihr schmeckt?
»Nicht viel, wenn man dich so anschaut.«
»Was?«
»Ich sagte, viel kannst du nicht essen, wenn man dich so anschaut.«
Sethie schweigt.
»Herrgott, Sethie, hör auf zu grinsen«, sagt Janey, und Sethie senkt den Blick. »Ich kann nicht glauben, dass ich bei der ganzen Sache auch noch mitgespielt habe.«
»Wie meinst du das?«
Janey holt tief Luft. »Es tut mir so leid, dass ich dir gezeigt habe, wie man sich übergibt. Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe. Ich glaube, ich habe einfach … ein bisschen angegeben. Ich wollte deine Freundin sein.«
»Es ist nicht deine Schuld. Ich hätte früher oder später sowieso rausgefunden, wie das geht.«
»Ich wünschte einfach, ich hätte es nie getan.«
»Es ist okay. Es ist nicht deine Schuld.«
Janey wendet den Blick ab. Vielleicht versucht sie, nicht zu weinen, denkt Sethie. Janey hat ihren verwischten Eyeliner nicht im Gesicht und auch ihre Lippen sind matt und spröde und glänzen nicht wie sonst unter einer Vaselineschicht. Sie hat die Beine angezogen, ihre Füße auf den Stuhl gesetzt und das Kinn auf die Knie gestützt. Nachdenklich kaut sie an ihren Fingernägeln, als würde sie versuchen, das besonders gründlich zu erledigen. Sie sieht, denkt Sethie, sehr jung aus. Dort auf ihrem Stuhl sieht sie vielleicht sogar noch jünger aus als Sethie in ihrem Bett.
Irgendwann sagt Janey: »Am Montag habe ich Shaw angeschrien. Ich habe so laut geschrien, dass mir der Hals wehgetan hat.«
Sethie kann sich Janey nicht schreiend vorstellen. Janey hat immer alles unter Kontrolle.
»Sethie, was hat er getan? Er hat gesagt, ihr hättet über alles gesprochen und das mit Anna sei – O-Ton Shaw – völlig okay für dich gewesen.«
»Das mit Anna war auch völlig okay für mich.«
»Ganz offensichtlich nicht«, erwidert Janey. »Schau dich doch an.«
»Aber so war es. Es war so okay für mich, dass ich mit ihm geschlafen habe.«
»Was?«
»Ich habe mit ihm geschlafen.«
»Nachdem du erfahren hast, dass er dich betrogen hat?«
»Er hat mich nicht betrogen. Wir waren einfach nur Freunde mit gewissen Vorzügen, das wusste doch jeder.«
»Jeder außer dir«, sagt Janey, doch sie sagt es sanft, als sei es vielleicht gar nicht Sethies Schuld, dass sie es nicht gewusst hat.
»Er meinte, es wäre schön, wenn wir es noch einmal täten, um uns von der körperlichen Ebene unserer Freundschaft zu verabschieden.«
Janey lacht, was Sethie dazu bringt, sich aufzurichten. Die Bettdecke rutscht an ihr herunter, sodass Janey einen Blick darauf erhaschen kann, wie dünn Sethie jetzt ist. Sethie trägt nur ein Tanktop und Boxershorts. Seit die Schule wieder angefangen hat, hat sie noch ein Kilo abgenommen. Jetzt wiegt sie 46 Kilo.
»Und das nennst du ein nicht definiertes Schlüsselbein?«, fragt Janey. Sie klingt ärgerlich. Sethie legt sich wieder hin und zieht die Decke über sich. Janey steht auf und kommt zum Bett herüber. Für einen Moment befürchtet Sethie, sie könne ihr die Decke wegreißen, um zu sehen, wie dünn sie wirklich ist. Doch stattdessen beugt sich Janey vornüber, zieht ihre Schuhe, feste Stiefel für kaltes Wetter, in die sie ihre Jeans gestopft hat, aus und zieht die Decke ein wenig zurück, aber nur so viel, dass sie darunterschlüpfen und sich an Sethie kuscheln kann.
Sethie atmet scharf ein. Vielleicht wird Janey das Messer unter ihrer
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