Storm - Aus dem Leben eines Auftragskillers (German Edition)
nahm sie regelmäßig an einem Kampfsportkurs teil. Wie sollte ich ahnen, dass sie sich ausgezeichnet verteidigen konnte? Ich wusste damals so gut wie nichts über sie.
Mein Mund wollte Worte der Beschwichtigung artikulieren, brachte aber keinen Ton zustande. Ich wollte ihr erzählen, dass ich von der Polizei käme und alles ein großes Missverständnis sei. Sie hätte die Lüge sowieso durchschaut wie eine Klarsichtfolie. Ich hatte mich verkalkuliert. In Wirklichkeit konnte ich mich nur noch glücklich schätzen, beim Schlag nicht ohnmächtig geworden zu sein. An raffinierte Ausreden war nicht zu denken.
Hanna war ebenfalls nicht auf eine Konversation aus. Sie starrte mich nur weiter an, genoss ihre Übermacht.
Ich streckte schützend meinen linken Arm vor meinen Kopf und muss einen jämmerlichen Anblick geboten haben. Meine rechte Hand tastete nach hinten an meinen Hosenbund. Vielleicht hatte Hanna meine Waffe im Dämmerlicht des Flures noch nicht gesehen, und ich könnte doch noch eine Kugel ins Ziel bringen. Aus der Sache wurde nichts, wie Sie sich vermutlich denken können.
Ihre Pupillen zuckten nach unten, entlarvten meinen Plan und funkelten zornig auf. Der Stock schlug auf meine n Schädel ein wie ein Meteorit. Ich fiel der Länge nach auf den Rücken und erlebte meine Welt nur noch in wabernden Konturen. Alles stürzte in sich zusammen. Etwas knallte. Mein Körper reichte unbezahlten Urlaub ein.
Als ich wieder zu mir kam, mussten erst wenige Augenblicke seit dem Zusammentreffen mit Hanna vergangen sein. Es war erstaunlich, wie schnell ich mich von dem Volltreffer erholt hatte. Ich war allein in ihrer Wohnung. Sie hatte sich in Luft aufgelöst und mich auf wundersame Weise verschont. Ich konnte mein Glück nicht begreifen. Ihre Augen hatten mir verraten, dass sie auf einen Angriff vorbereitet gewesen war. Sie hatte alles gewusst und mich doch nicht zur Strecke gebracht. War sie zu menschlich zum Töten? Besaß sie nicht meinen Killerinstinkt? Darüber kannst du dir später Gedanken machen, alter Mann , dachte ich nur.
Ich musste mich zügig aufraffen. Sie konnte immer noch die Polizei auf mich angesetzt haben; denen wollte ich lieber nicht in die Hände fallen. In meinem Keller lagen zu viele Leichen herum, die nicht freigeschaufelt werden sollten.
Ich rappelte mich mit wackligen Beinen auf und räumte mir selbst fünf Minuten ein, um mich in Hannas Wohnung umzus chauen. Ich musste sie erst besser kennenlernen, bevor ich sie weiter jagen konnte. Sie würde mir nicht freiwillig wie ein Fisch an die Angel springen. Ich war mir sicher, dass das Duell auf Augenhöhe stattfinden würde. Ich musste alle zur Verfügung stehenden Mittel ausschöpfen, um ihr Kopfgeld zu kassieren. Ich brauchte die Namen ihrer Freunde, ihrer Familie, um sie notfalls zu erpressen. Und ich musste mehr über den Menschen Hanna Cramme erfahren, damit ich ihre Schwachstellen analysieren konnte. Und für das ganze Pamphlet an Aufgaben blieben mir schlappe fünf Minuten.
Mit brummendem Kopf verschaffte ich mir einen groben Überblick in ihrer Wohnung. Es war eine klassische Zwei-Zimmer-Wohnung für Singles oder junge Paare mit separater Küche, einem Bad und einem kleinen Balkon. Alle Türen standen offen und gewährten Einblick in die angrenzenden Räumlichkeiten. Der Fußboden war mit dunkelbraunem Teppich überzogen, der keine sichtbaren Schmutzflecke aufwies. Im Wohnbereich, der sich nahtlos an den Flur anschloss, erstreckte sich linker Hand eine braune Anbauwand mit weißen Absätzen. Neuware, kein Zweifel. Im Zentrum spiegelte ein dünner LCD-Fernseher das einfallende Sonnenlicht, das den Wohnraum sanft erhellte. Ich schätze das Gerät auf sechsundvierzig Zoll. Hanna war Filmfan, sonst hätte sie sich mit einem kleineren Apparat begnügt. Gegenüber der Anbauwand hatte sie eine anthrazitfarbene Couchgarnitur platziert. Der Überzug war glatt, aber sicherlich kein echtes Leder. Sie war nicht so reich, sonst hätte sie eine größere Wohnung angemietet. Sie machte es sich dennoch gerne gemütlich vor ihrem Fernseher. Sie war organisiert und hatte dem Wohnraum ihre persönliche Handschrift verpasst.
Über der Couch hingen Fotos von ihren Freunden und Verwandten in selbstgebastelten Bilderrahmen an der weißen Raufasertapete.
Ich ging näher heran und studierte die Gesichter. Die abgebildeten Menschen waren mir allesamt unbekannt. Ich entdeckte ein Bild mit jungen Leuten in einer Bar, die ihre Bierflaschen in die Luft
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