Storm - Aus dem Leben eines Auftragskillers (German Edition)
hielten. Vielleicht waren das Hannas Freunde von der Uni. Es konnten auch ihre Schulfreunde gewesen sein. Neben weiteren feucht-fröhlichen Partybildern fiel mir ein Schnappschuss besonders ins Auge. Auf einem Foto saß Hanna engumschlungen mit einem älteren Mann auf einer Couch. Auf dem Schoß des Kerls hockte ein jüngeres Mädchen, das Hanna zum Verwechseln ähnlich sah. Ihre Schwester. Sie war schlanker als Hanna, hatte längere Haare und zuckersüße Grübchen, die ihr Grinsen lebhafter erscheinen ließen als das ihrer großen Schwester. Die drei Menschen auf dem Bild waren fröhlich (auch wenn Hannas Lächeln ein wenig kühl wirkte) und gehörten eindeutig zusammen. Eine glückliche, kleine Familie ohne Mutter. Hatte sie sich von ihrem Mann scheiden lassen? War sie tot? Ich wollte es später in Erfahrung bringen.
Ich konzentrierte mich auf den Mann zwischen den Mädchen, der vermutlich Hannas Vater war. Er war etwas größer als seine Töchter, ungefähr ein Meter achtzig. Die Töchter wirkten ungefähr gleichgroß. Und da ich Hanna schon leibhaftig vor Augen hatte, schätzte ich sie auf ein Meter siebzig. Ihr Vater war korpulent und Eigentümer eines erstklassigen Bierbauchs. Seine Haare gingen ihm aus; um seine blankpolierte Platte herum spross lediglich noch einen kurzgeschorener Kranz. Ein Szenario, das auch mir in ein paar Jahren droht. Auf der Nase des Mannes glänzte eine runde Brille; er lächelte stolz in die Kamera. Er liebte seine Töchter über alles. Jeder, der über etwas Menschenkenntnis verfügte, hätte das auf den ersten Blick erkannt. Stolz kann man nicht mimen, er sähe immer gekünstelt aus.
Ich prägte mir die Gesichter gut ein und wandte mich nach links. Vor der lichtdurchfluteten Balkontür stand Hannas Schreibtisch. Der Laptop darauf war ausgeschaltet. Ich wollte ihn auch nicht hochfahren, da meine Zeit ohnehin sehr begrenzt war. Stattdessen öffnete ich die Schubfächer des Schreibtischs und wühlte in Hannas Unterlagen herum. Unter zahlreichen Notizblöcken, die mit Unikram und Formeln vollgekritzelt waren, fand ich den Jackpot: ihr Adressbuch. Ich blätterte ein paar Seiten auf und entdeckte sofort ihre Schwachstellen. Ein paar davon standen unter ‚Freunde‘ und die wichtigsten unter ‚Familie‘. Seltsamerweise existierte unter ‚Familie‘ nur ein einziger Eintrag. Die Adresse von ‚Papa und Schwesterchen‘. Sie wohnten noch zusammen in Berlin, wo Hanna offensichtlich ihre Wurzeln hatte. Warum hatte sie sich die Anschrift notiert? Konnte sie sich keine Straßennamen merken oder gehörte dieser Eintrag für sie einfach in das Heft, um es damit zu komplettieren? Ich grübelte nicht länger darüber nach. Eigentlich konnte mir die Antwort auch egal sein. Ich riss einen unbeschriebenen Zettel aus einem ihrer Notizblöcke und schrieb darauf mit einem herumliegenden Kugelschreiber die vielversprechendsten Kontaktdaten nieder. Ich steckte den Zettel in meine Hosentasche und schaute mich ein letztes Mal in den Räumen um.
Was konnte ich noch für Schlüsse aus Hannas Wohnung ziehen? Auf einem Schrank der Anbauwand stand eine Stereoanlage. Keine Professionelle, aber ausreichend für eine Studentin. Außerdem verteilten sich drei prallgefüllte CD-Ständer in ihrem Wohnbereich. Ich entzifferte bei dem Nächstbesten die Rückseiten der CDs. Die Bands trafen nicht unbedingt meinen Geschmack, aber ich kannte einige davon vom Namen her. Sie mochte diese ganzen neumodischen Indie-Rock-Bands, die uns über den großen Teich hinweg beschallten. Mando Diao, Red Hot Chili Peppers, The Strokes oder 30 Seconds to Mars. Sehen Sie es mir nach, falls eine Band nicht in die Reihe passt! Ich kenne mich mit diesem modernen Mist, der heutzutage bei Rock am Ring auftritt, nicht so besonders gut aus. Bei Rock’n’Roll-Musik bevorzuge ich die Klassiker wie AC/DC, Iron Maiden oder Motörhead. Man mag es nicht glauben, aber als Jugendlicher hatte ich auch mal meine rebellische Phase und war ein kleiner Headbanger mit langen Haaren, Lederjacke und allem Drum und Dran. Aber diese Zeiten sind längst vorbei. Heute würden mich diese versifften Konzerthallen, in denen ich mich damals herumtrieb, eher anekeln. Dieser Dunst aus Bier und Schweiß ist was für junge Menschen. Beim Headbangen würde ich mir mit meinem Rückenleiden nur einen steifen Nacken einfangen. Um Lieutenant Murtaugh aus den Lethal-Weapon-Filmen zu zitieren: Ich bin zu alt für diesen Kram.
Während mir ähnliche Gedanken auch in Hannas
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