Storm - Aus dem Leben eines Auftragskillers (German Edition)
Die letzte Bemerkung entlockt ihm ein höhnisches Grinsen.
Ich beende unsere Unterhaltung mit einem Nicken. »Weniger als Sie sich vorstellen können.« Ich lasse den Knaben hinter mir und betrete den Saal voller Historie und Belletristik. Hier wird das komplette Wissen der Menschheit in Millionen, wenn nicht Milliarden von Seiten festgehalten. Ich wünsche mir, dass ich durch Handauflegen alle Bücher aussaugen und ihre Weisheit verschlingen kann. Nur läuft das so nicht. Ich müsste mich auf meinen Hintern setzen und jede Seite einzeln durchlesen. Wenn ich in tausend Jahren das Ende dieses Wahnsinns erreichen würde, hätte ich die ersten Bücher längst wieder vergessen und müsste mit der Arbeit von vorne beginnen. Wir können nicht alles wissen. Jeder muss sich mit seinem eigenen begrenzten Horizont abfinden. Ich bin nicht traurig darüber. Ich weiß, was ich wissen muss, um das Leben auf meine Art zu meistern. Der Rest wäre bloß Zugabe.
Ich umkurve die Kolosse des Wissens und trete dabei auf leisen Sohlen, um die anwesenden Leseratten nicht aufzuschrecken.
Sie sitzen schweigend nebeneinander an schweren Tischen und wälzen Seite für Seite um. Ich sehe vorwiegend junge Menschen in diesem Hort des Wissens. Studenten, die Extraschichten für eine erfolgreiche Prüfungszeit einlegen. Dabei dürften eigentlich noch Semesterferien sein. Bereiten sie sich auf Widerholungsprüfungen vor? Andererseits bekommen manche Leute den Hals auch einfach nicht voll. Strebsame Irre, die ihr Hirn mit nutzlosen Daten vollstopfen.
Zum Glück musste ich nie wirklich etwas auswendig lernen. Ich glaube, dass ich dafür auch nicht der Typ bin. Ich würde mich beim Büffeln nur langweilen und mich von tausend anderen Dingen ablenken lassen.
Mei n Blick fällt auf die hohe, fein verzierte Decke. Ein geschickter Handwerker hat kleine Ranken und Blätter in den weißen Putz eingearbeitet. Hier ist alles auf alt getrimmt, doch in Wahrheit ist das Gebäude wohl erst in den letzten fünf Jahren entstanden.
Ich gehe weiter und verlasse den Lesesaal. Der Junge am Eingang hatte mich vernünftig beraten. Eine Glastür gewährt mir Einlass in den Computerpool der Bibliothek. In dem Raum stehen zehn Rechner und nur die Hälfte davon ist belegt. Nicht eine der anwesenden Personen sieht zu mir auf, als ich den Raum mit meiner Anwesenheit bereichere. Sie sind zu tief in ihren Stoff versunken für einen scheuen Blick nach oben. Die Luft im Raum ist schlecht und miefig. Ich fühle mich wie in einem modernen Affenkäfig. Es wundert mich, dass keiner auf die Idee kam, mal ein Fenster zu öffnen. Das Wetter draußen ist schön und die Luft sommerlich frisch.
Ich zwänge mich zu einem freien Platz am Fenster durch und stelle mich an die Scheibe. Mein Blick prüft die Umgebung und bemerkt die Hauptstraße, die direkt an der Bibliothek vorbeiführt. Sofort verstehe ich die Leute in dem Raum. Wenn das Fenster offen wäre, würde der Straßenlärm ihre Konzentration stören.
Ich atme enttäuscht aus und setze mich auf einen alten unbequemen Holzstuhl. Er knarzt wie eine alte Tür in einem Spukhaus und bringt mir einen zornigen Blick meines Nebenmannes ein. Ich hebe entschuldigend die Hand; der Spießer mit den glattgekämmten Haaren wendet sich wieder von mir ab.
Der Rechner vor mir ist bereits eingeschaltet und wartet auf meine Eingabe. ‚Drücken Sie eine beliebige Taste, um den Bildschirmschoner zu beenden‘, gibt mir der Monitor zu verstehen. Inzwischen hat auch jeder etwas zu erzählen.
Ich betätige die Leertaste und lande auf einem blauen Bildschirm mit einer begrenzten Auswahl von Desktop-Symbolen. Ich ergreife die abgenutzte Maus, die zu dem PC gehört und klicke doppelt auf das Icon mit der Beschriftung ‚Datenbankanfrage‘. Ich bin kein ausgewiesener Computerexperte und benutze die Dinger nur wenn es nötig ist, aber diese Prozedur ist selbsterklärend. Puppeleicht! Ein einfaches Fenster öffnet sich. Es enthält eine gräuliche Suchmaske und einen weißen Bereich für die Ausgabe der Funde. Ich spüre ein dezentes Kribbeln in meinem Brustkorb. Ist es Aufregung? Nervosität? Die Angst vorm Scheitern? Meine Hände schwitzen furchtbar. Ich komme mir vor wie ein kleiner Junge, der das erste Mal im Internet nach Pornos sucht. Er ist geil auf die nackten Frauen und hat trotzdem Schiss davor, dass seine Eltern ihn beim Masturbieren erwischen könnten. Zumeist siegt bei diesen Jungs die Neugier; auch bei mir überwiegt sie. Scheiß auf die
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