Storm - Aus dem Leben eines Auftragskillers (German Edition)
Recherchearbeit ist wie ein Münzwurf. Setze auf Kopf oder Zahl! Die Chancen stehen eins zu zwei, dass man einen Treffer landet. Ein faires Spielchen. Auch wenn ich mit einer Enttäuschung rechnen muss, kann ich es nur probieren. Was habe ich zu verlieren? Ich stehe wieder ganz am Anfang und habe nicht mehr viel Zeit. Lieber schlage ich mir einen Tag in einer staubigen Bibliothek um die Ohren, als zu Hause Däumchen zu drehen. Das ist die richtige Einstellung für meinen Beruf, die mich ins obere Drittel der internationalen Topkiller befördert hat. Zur Selbstmotivation zaubere ich ein zerknirschtes Lächeln auf mein Gesicht. Bevor es albern wird, setze ich aber wieder den kalten Blick eines Vollprofis auf, der schon so viele Opfer das Fürchten gelehrt hat.
Ich entere das Gebäude durch eine quietschende Schwingtür. Über einen roten Teppich trabe ich relaxt zum Empfangsbereich des Hauses.
Dort schmatzt ein gelangweilter Typ hinter einer hüfthohen Holzverkleidung unablässig auf seinem Kaugummi herum. Er sitzt auf einem Bürostuhl und trommelt mit den Fingern wie wild auf seinem Schreibtisch herum. Er wirkt geistesabwesend. Seine Haare werden oberhalb der Stirn schon dünn, dennoch sieht er keinen Tag älter als fünfundzwanzig aus.
Frisch vom Studium oder der Ausbildung , denke ich. Er trägt eine kleine kreisrunde Brille und hat rote Pickel am Hals vom Rasieren. Die Brille erinnert mich an die von Peter Cramme. Wut steigt in mir auf, darüber, dass mir der dicke, hinkende Mann mit den Knopfaugen entkommen konnte. Auch er hatte mich geschlagen. Diese Tatsache nagt unerbittlich an meinem Ego. Hannas Vater soll später noch dafür gerade stehen. Zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen!
Ich schl age mit der flachen Hand auf den hölzernen Arbeitsbereich des jungen Mannes und katapultiere ihn aus seinen verschlungenen Gedankengängen.
Der Kerl zuck t kurz zusammen und findet anschließend in die Realität zurück. Anstatt sich bei mir für meinen Einsatz zu bedanken, bedenkt er mich mit einer verärgerten Schnute. Seine Augen funkeln ungehalten, aber er grinst überfreundlich in die Welt hinaus. Eine aufgezwungene Maske. Er scheint sich an die Verhaltensweisen gegenüber Kunden zu erinnern, die sein Chef ihm sicherlich ausführlich eingetrichtert hatte.
Wenn doch nur jeder seinen Gefühlen freien Lauf lassen würde, statt sie hinter einer gekünstelten Fassade zu verstecken ! Das täte der Welt richtig gut. Leider werden die meisten Menschen anders erzogen. ‚Sei brav und tanze nicht aus der Reihe!‘ Beschissene Duckmäuser. Ich hätte direkt auf den roten Boden kotzen können. Bei dem Rührei zum Frühstück hätte das ein nettes Farbspiel ergeben.
» Guten Tag«, begrüßt mich der Junge. »Was kann ich für Sie tun?«
Für einen Moment geht es mit mir durch. Ich will den Hänfling packen und kräftig durchschütteln, ihn solange provozieren, bis er mir sein wahres Gesicht zeigt. Die drohenden Schmerzen in meiner Schulter halten mich davon ab. Trotzdem kann ich meinen Zorn über seine Zurückhaltung nicht ganz verbergen und gebe mich äußerst kratzbürstig. »Sie?«, frage ich spöttisch. »Legen Sie ein anderes Rasierwasser auf! Sie sind doch ein Mann, oder?« Tatsächlich riecht sein Parfüm, oder was er auch immer aufgetragen hat, weiblich süß.
Verwunderung liegt in seinen Augen, als er zu bedenken gibt: »Das ist eine Bibliothek und keine Typberatungsstelle.«
Ich zolle seiner Schlagfertigkeit Respekt und beende den geplanten Kleinkrieg voller Sticheleien. »Das hoffe ich doch«, nicke ich amüsiert. »Ich möchte alte Zeitungsberichte nach einem gewissen Ereignis durchstöbern. Sie haben sicherlich Arbeitsplätze dafür.«
» Ja, nach was wollen Sie suchen?«
» Oh, das möchte ich lieber nicht verraten. Geheimhaltungsstufe fünf. Sie verstehen?« Ich zwinkere ihm zu.
» Jedem das Seine!« Der Junge zuckt mit den Schultern. »Kein Problem!« Er hebt den linken Arm und deutet in den Innenraum der Bibliothek.
Die ersten monströsen Bücherregale versperren mir die Sicht.
»Wenn Sie schnurgerade durch den Lesesaal gehen, kommen Sie zu einem separaten Bereich mit einigen Arbeitsplätzen. Mit den Computern können Sie unsere Datenbank mit Suchbegriffen füttern. Falls es zu einem Ergebnis kommt, werden sie zu den gebundenen Tagesausgaben weitergeleitet. In der zweiten Etage haben wir ganze Regale voller alter Tageszeitungen, inklusive Regionalteilen. Ich hoffe, Sie haben viel Zeit mitgebracht.«
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