Storm - Aus dem Leben eines Auftragskillers (German Edition)
Julie haften wie versteinert auf ihrem Bett.
Hätte ich es darauf angelegt, hätte jeder von ihnen schon längst ein rotes Loch im Kopf. Es wäre kinderleicht gewesen. Deswegen bin ich aber nicht hier. Ich schiebe die Tür hinter mir mit dem Fuß wieder zu und sage entschlossen: »Niemand rennt hier weg und keiner schreit. Ist das klar?«
Ich ernte monotones Nicken. »Gut, denn ich bin nicht hier, um euch umzubringen. Sonst wärt ihr schon tot.«
Ohnmächtiges Schweigen erfüllt den Raum. Die Familienmitglieder tauschen verwirrte Blicke aus.
Hanna stützt sich auf ihre Ellenbogen und löst ihre Starre zuerst. Sie ist äußerst cool. »Ich verstehe nicht«, äußert sie trocken. »Was wollen Sie dann von uns?«
Ich nehme die Waffe aus ihrem Gesicht und stecke sie wieder ein. »Reden! Ich will nur reden.« Diese Antwort hätten sie am wenigsten von mir erwartet. Ich empfange fassungslose Blicke, als wäre ich das achte Weltwunder. Da die Familie noch nicht mit mir kommunizieren kann, fahre ich fort: »Steh bitte auf, Hanna, und mach es dir bei deiner Familie bequem!«
Sie schaut fragend zu ihrem Vater herüber.
Er nickt ihr zu.
Hanna zieht sich am Rahmen des Doppelbettes nach oben und setzt sich neben Peter.
Das Familienoberhaupt befindet sich zwischen seinen Töchtern und hält ihre zitternden Hände. Der Mann kann also doch Trost spenden. Er steigt sofort wieder in meinem Ansehen.
Ich schaue ratlos zur Decke und s temme die Hände in die Hüfte. Danach schnaufe ich kräftig aus. Mir fällt nicht gleich etwas ein, um das Gespräch ansprechend zu beginnen. Schaffe Nähe! , rät mir mein Innerstes. Ich höre auf mein Bauchgefühl. »Gut«, stöhne ich behäbig. »Wo wir gerade dabei sind, Nettigkeiten auszutauschen, können wir uns auch duzen, okay? Diese aufgezwungenen Förmlichkeiten sind doch einfach nur peinlich. Seid ihr damit einverstanden?«
Peter Cramme lächelt bittersüß. »Oh, ich mache gerne auf Kumpel mit dem Mann, der meine Finger gebrochen hat. Gehen wir doch gleich zusammen ein Bier trinken. Wie wär‘s?«
» Später vielleicht«, blocke ich seinen Sarkasmus ab. »Dafür haben wir im Moment keine Zeit. Und hey … wir können auch gerne später klären, wer hier wem am meisten in den Arsch getreten hat, aber auch das muss warten. Engel seid ihr auch nicht unbedingt. Ihr habt mir ordentlich zugesetzt.«
» Nicht gut genug«, züngelt Hanna.
» Geize nie mit Blei, wenn du bei einem Mord ganz sicher gehen willst! Hat mir schon meine Oma verraten«, scherze ich.
Niemand lacht oder schmunzelt auch nur andeutungsweise.
»Wir können uns jetzt gegenseitig zerfleischen, wenn ihr wollt, aber das halte ich im Moment für wenig zweckdienlich. Hanna, du warst mein Auftrag. Ich habe dich gejagt und dich nicht in die Finger bekommen, weil ihr mich erstklassig reingelegt habt. Jetzt sind einige Tage vergangen, und ich will dich nicht mehr töten. Das ist nun unsere Ausgangslage!«
Hanna leckt sich mit ihrer Zunge über die Lippen. Ob sie weiß, dass sie dabei verführerisch aussieht? »Und was hat sich in den paar Tagen geändert? Müssten Sie mich jetzt nicht erst recht hassen?«
» Denk an das ‚Du‘!«, verbessere ich sie. »Ich bin Andreas. Von mir aus könnt ihr mich auch Arschloch nennen. Namen sind mir gleichgültig. Und zu deiner Frage: Anfangs wollte ich dich auch erledigen, nachdem ich aus dem Krankenhaus geflohen bin. Mehr als alles andere. Das kannst du mir glauben. Ich war zerfressen von Gefühlen wie Zorn und Rache. Aber dann habe ich etwas über dich herausgefunden, was alles grundlegend verändert hat.« Ich gehe in mich. Meine zurechtgelegten Worte brechen mir weg. Das Gespräch nähert sich dem Punkt, an dem die Stimmung kippen könnte. Weiß sie, wer der Mörder ihrer Mutter ist?
» Was hast du herausgefunden?«, hakt Peter Cramme ein. »Sag es uns. Bitte, großer Meister!«
Ich starre weiter in Hannas Gesicht. Vielleicht hat Peter Cramme eine Ahnung, aber Hanna weiß anscheinend von nichts. »Ich habe herausgefunden, wer deine Mutter war, Hanna.«
» Mama?«, platzt es aus Julie heraus. »Was ist mit Mama?« Bislang hat sie die Unterhaltung teilnahmslos verfolgt. Die Erwähnung ihrer Mutter hat einen Nerv bei ihr getroffen.
» Ja«, sage ich kleinlaut. »Ich bin ihr einmal begegnet, auf einem Wohltätigkeitsball im Mai 2003.«
Die Geschwister reißen synchron die Augen auf. Sie verstehen, auf was ich hinaus will.
Peter Cramme zeigt mit seinem gesunden Zeigefinger auf
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