Storm - Aus dem Leben eines Auftragskillers (German Edition)
Unterbindet das ungebetene Auftauchen des fremden Mannes mein Vorhaben? Wer ist er und was hat er hier zu suchen? Wahrscheinlich ist er Pias Vater und deswegen hier. In der Todesannonce stand doch sein Name. Ich überlege kurz. Genau, Steffen Waldenburg hieß er. Vom Alter her könnte das passen.
Meine Hände werden nass. Mein Magen kribbelt , als wäre er voller lebendiger Käfer. Der Roulettetisch des Schicksals dreht sich im Kreis. Die Kugel fällt noch nicht. Das Ergebnis ist unvorhersehbar, blanker Zufall. Wie wird die Familie reagieren, wenn sie mir gegenübersteht? Kann ich überhaupt zu ihnen durchdringen? Landet die Kugel auf Schwarz oder auf Rot? Ich stelle mir tausend weitere Fragen, auf die ich keine Antworten habe. Es ist ein sinnloses Unterfangen, in die Zukunft blicken zu wollen, aber so vergeht wenigstens die Wartezeit. Kaum habe ich die Fragerunde mit mir selbst beendet, erscheint die Familie wieder vor dem Friedhofstor.
Hanna dient ihrem Vater nun nicht mehr als Krücke, sie umarmt ihn vielmehr.
Peter Cramme weint sich an ihrer Schulter aus. Der Anblick des geschändeten Grabs seiner Frau war offenbar zu viel für seine angeknackste Seele.
Der Alte steht halb verdeckt hinter Peter und hat seine Mütze wirklich so tief heruntergezogen, dass ich seine Augen nicht erkenne. Ich kann nur ahnen, dass er einen graumelierten Schnurbart trägt, oder sich gehörig viel Dreck auf seiner Oberlippe befindet. Seine Mundwinkel hängen betrübt nach unten.
Hanna stiert wie ein Golem in die Ferne. In ihren Augen sehe ich keine Gefühlsregung.
Julie steht neben ihren Lieben und ist doch allein. Sie wirkt traurig, hat ihre Emotionen aber im Griff.
Nur Peter Cramme bringt seine wahren Gefühle zum Ausdruck. Möglicherweise haben Hanna und Julie nach den letzten chaotischen Tagen einfach keine Tränen mehr in sich, die sie vergießen könnten. Und Opa ist zu abgehärtet für die große Heulorgie. Vielleicht ist Peter Cramme auch einfach die größte Memme unter ihnen. Ich weiß es nicht. Für mich ist der Anblick der Familie jedenfalls ein bizarres Bild. Peter müsste den Mädchen seine starke Schulter zum Anlehnen anbieten, aber es ist genau umgekehrt. Es scheint so, als hätte Hanna nach dem Tod von Pia die dominante Rolle ihrer Mutter einnehmen müssen. Sie musste viel zu früh erwachsen werden; das tut mir leid für sie. Mein Gott, sie war doch erst sechzehn, als ihre Mutter starb! Ich bin ein seelenfressendes Monster.
Zumindest spendet der alte Angler seinen Enkeltöchtern etwas Trost, indem er seine Hände beruhigend auf jeweils eine ihrer Schultern legt.
Ich bringe meinen Schreihals namens Gewissen zum Schweigen. Er kann mir noch für den Rest meines Lebens auf die Nerven gehen, aber nicht jetzt.
Hannas Lippen bewegen sich. Anschließend klopft sie ihrem Vater auf die Schulter. Er schnieft jämmerlich, hat den Wasserhahn in seinen Tränensäcken aber zugedreht. Sie lösen die Umarmung und wenden sich dem alten Herrn zu. Jeder umarmt den Mann noch einmal und dann trennen sich ihre Wege. Julie hat als Einzige einen dicken Abschiedskuss von ihm empfangen. Er ist definitiv ihr Großvater. Opa winkt allen zu und setzt sich in seinen BMW. Das Auto beginnt zu ruckeln und verschwindet rückwärts aus meinem Sichtfeld.
Ich puste durch. Ein Problem weniger, um das ich mich kümmern muss. Der Alte wird mich vorerst nicht weiter behelligen. Ich will mich dieser Randfigur auch nicht länger als nötig widmen. Die Hauptakteure verlangen mir bereits ein Höchstmaß an Konzentration ab.
Hanna hilft ihrem alten Herrn derweil beim Einsteigen.
Julie nimmt schon auf dem Rücksitz Platz.
Danach begibt sich Hanna auf den Fahrersitz. Im Einklang starten unsere Motoren.
Hanna wendet in einer Seitenstraße den Toyota und fährt davon. In sicherem Abstand folge ich ihnen. Wir fahren ein kleines Stück Richtung Süden und begeben uns relativ schnell auf die Stadtautobahn, die A100. Von dort aus geht es weiter in den Westen der Stadt. Wir tuckern mit achtzig Kilometern pro Stunde durch den düsteren Autobahntunnel im Bezirk Britz. Der Tunnel ist vollgestopft mit Autos. Eine Blechlawine steuert Richtung Freiheit. In der engen, dunklen Schleuse ist es schwierig, den Wagen der Crammes im Auge zu behalten. Ständig scheren Autos vor und hinter mir in enge Lücken ein. Lkws blockieren die rechte Spur. Ich muss mich auf den Verkehr konzentrieren, um keinen Unfall zu bauen, und gleichzeitig nach dem Toyota Ausschau halten. Ich
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