Storm - Aus dem Leben eines Auftragskillers (German Edition)
genug, Süße«, wimmert ihre Schwester beinahe.
Ich ziehe einen Polsterstuhl zu mir heran, der vor dem Schreibtisch stand, weil ich eine längere Geschichte befürchte und ich langsam einen Krampf in den Beinen bekomme. Ich setze mich verkehrtherum auf den weichen Überzug. Aufgrund meiner Rückenverletzungen könnte ich mich ohnehin nicht richtig an dem Stuhl anlehnen.
Hanna rückt auf dem Bett von ihrer Familie weg und hockt sich auf die äußerste Kante der Matratze. Sie will allein sein.
Peter hält sie nicht auf.
Hanna guckt verloren aus dem Fenster nach draußen und spricht dann endlich weiter: »Wo fange ich an? ‚Es war einmal‘, wie in einem Märchen? Aber das ist kein Märchen. Höchstens ein schauriges.« Sie zieht eine undurchsichtige Schnute. »Ich erzähle euch einfach alles, was ich weiß.« Sie schließt die Augen. »Es gibt da einen Geheimbund in Berlin. Er nennt sich ‚Vita brevis‘. Das ist Latein und heißt so viel wie ‚Das Leben ist kurz‘.«
Ich lasse mir den Namen auf der Zunge zergehen. Vita brevis . Irgendwo in meinem Hinterkopf klingelt ein dunkles Glöckchen, aber die Erinnerung ist zu blass, als das ich sie irgendeinem Ereignis zuordnen könnte. »Schon mal gehört«, meine ich nachdenklich. »Aber ich habe keine Ahnung, mit was die ihr Geld verdienen. So groß können die nicht sein, sonst würde ich sie besser kennen.«
Hanna ist davon unbeeindruckt. Sie öffnet wieder die Augen und glotzt in die Ferne. »Die Bedeutung des Wortes ‚geheim‘ ist dir schon vertraut, oder? Auch wenn du denkst, dass du dich im Untergrund gut auskennst, hast du höchstens von fünfzig Prozent der Spinner gehört, die sich dort herumtreiben. Vita brevis ist ein verschwiegener Haufen. Wer sich verplappert, wird beseitigt. Wie bei den Sopranos. So dringen nur wenige Informationen an die Außenwelt. Das handhaben die seit vielen Jahren so. Mit Erfolg.«
Ich fahre mir mit der Hand über meine kurzen Haare. »Und deine Mutter war Mitglied bei denen oder wie darf ich das verstehen?«
Hanna lacht trocken und unecht. »Heilige Scheiße, eher hätte sie Julie in den Kopf geschossen.«
Julie sieht geschockt zu ihrer großen Schwester hinüber.
Obwohl Hanna sie nicht im Blickfeld hat, spürt sie die Empörung ihrer Blutsverwandten. »Nichts für ungut, Kleine! Ich wollte damit nur der Absurdität dieser Vermutung Ausdruck verleihen. Die Vita brevis ist wörtlich zu verstehen. Das Fundament der Organisation ist darauf aufgebaut, dass sie davon ausgehen, dass der Mensch viel zu kurz lebt, um sich alle seine Wünsche aus eigener Kraft erfüllen zu können. Manche Träume kann man ohne entsprechende Beziehungen nie verwirklichen, selbst mit viel Geld nicht. ‚Leb dein Leben jetzt und koste es in vollen Zügen aus!‘ Das ist ihr Leitspruch. Highlife statt Tristesse.«
» Und die Vita brevis bietet Lösungen für diese Probleme. Sie sind eine Art Dienstleister?«, kombiniere ich.
» Richtig. Dort wird dir geholfen. Und es ist denen scheißegal, was du von denen willst, solange du das nötige Kleingeld dafür hast. Willst du dir ein Boot mieten und damit quer über den Atlantik nach New York schippern, richtet die Vita brevis das für dich ein. Möchtest du einmal in einem großen Hollywood-Film mitspielen, die Vita brevis verschafft dir eine kleine Nebenrolle. Sie haben Kontakte zu fast jeder Branche. Es ist unglaublich. Aber solche Dinge wären ja nicht schlimm, oder? Wenn jemand viel Geld hat, kann er gerne damit um sich werfen, auch wenn man es sicherlich nützlicher anlegen könnte.«
Ich staune über Hannas ruhige Erzählweise. Sie rattert ihren Vortrag herunter wie einstudiert, wie ein alter Hase, und das mit vierundzwanzig Jahren. Als sie länger pausiert, treibe ich ihren Redefluss wieder an. Ich will weiter auf den Wogen ihrer Worte surfen. »Diese harmlosen Aktivitäten nehmen allerdings nur einen kleinen Teil ihrer vollständigen Produktpalette ein, vermute ich mal.«
» Natürlich. Die Vita brevis macht vor nichts Halt. Gar nichts. Es gibt sicher kein Gesetz, das sie noch nicht überschritten haben. Sie sind extrem skrupellos in ihrem Vorgehen. Und auf einen Bereich haben sie sich besonders spezialisiert.« Hanna atmet tief durch, bevor sie die folgenden Worte ausspricht: »Sexuelle Perversionen.«
Peter, Julie und ich hängen gebannt an ihren Lippen. Allmählich setzt sich ein Bild in meinem Kopf zusammen. Mit jedem von Hannas Worten wird es schärfer.
»SM, Rollenspiele, Sex mit
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