Storm
selbst, dass ich ein Messer genommen habe, um mir wehzutun. Ich wollte mich ritzen, einen anderen Schmerz fühlen als den in meiner Seele, aber da hatte ich plötzlich meine Haare in der Hand. Ich war wie von Sinnen, als ich sie mir abgeschnitten habe. Und als ich in den Spiegel gesehen habe, war ich beinahe ein anderer Mann. Mir hat ein Fremder entgegengeschaut, ein zorniger Krieger. Das war echt schaurig.«
Ich kann mir das bildhaft vorstellen und mustere sein angespanntes Gesicht. Doch der alte Storm klingt zwischen den Zeilen durch. Das gefällt mir.
»Vermisst du sie?«, möchte er wissen.
»Ein wenig. Aber mit kurzen Haaren finde ich dich auch sexy. Sehr sogar.«
Seine Brauen schieben sich zusammen, doch er lächelt. »Attraktiver als Dr. Walker?«
Ich glaube, zwischen uns gibt es noch mehr zu klären. »Du weißt, dass ich mal mit Samantha zusammen war?«
»Man hört Gerüchte.« Er grinst schief. »Muss ich eifersüchtig sein?«
»Jax würde mich killen, wenn ich sie auch nur verliebt ansehen würde.« Ich schenke ihm einen verträumten Blick. »Oder das hier machen.« Ich küsse ihn und schiebe ihm schmunzelnd die Zunge in den Mund. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Für mich gibt es nur dich.«
***
Natürlich läuft im echten Leben nicht gleich alles perfekt und das habe ich auch nicht erwartet. Storm kämpft noch Wochen nach unserer Versöhnun g damit, ei n Warrior mit Handycap zu sein. Ihm entfährt das eine oder andere Mal ein Fluch, als wir gemeinsam unseren Garten anlegen. Er kommt beinahe schneller aus der Puste als ich, was ihn ungemein fuchst. Außerdem tut es ihm weh, Jax und seiner Armee beim Training zuzusehen. Jeden Morgen üben die Männer hinter der Pyramide auf einem großen Feld. Von unserem Garten aus können wir sie beobachten. Der Zaun, der die Grundstücke voneinander abtrennt und uns Privatsphäre verschafft, steht noch nicht.
Dafür gibt sich Storm mit mir und unserer Beziehung große Mühe. Er ist weder abweisend noch wortkarg – im Gegenteil. Er plappert in einem fort. Mir zuliebe arbeitet er mit mir zwischendurch in der Bibliothek. Das hat Bürgermeister Forster beschwichtigt. Doch ich merke Storm an, dass ihn das Einscannen von Dokumenten überhaupt nicht liegt. Ich erwische ihn ständig, wie er es sich mit einem Buch im Lesesessel bequem macht. Aber dazu sage ich nichts. Er hat eine Menge Wissen nachzuholen, genau wie wir alle. Und lieber habe ich ihn in meiner Nähe, als dass er sich am Stadtrand bei seinen neuen Freunden herumtreibt oder auf Schlangenjagd geht. Er kann hervorragend mit den Messern umgehen, trotzdem könnte der Biss einer Klapperschlange auch für ihn tödlich sein.
»Die Jungs sind nicht verkehrt«, sagt er, wenn er sie besucht – und das ist in letzter Zeit öfter. Ich will ihm auch das nicht verwehren. Er ist kein Kind, und unserem neu aufgebauten Vertrauen würde ein Verbot schaden. Außerdem kann ich es ihm nicht verdenken, dass er sich nach wie vor wie ein Außenseiter fühlt. Er kann sich nicht einmal der Resurer Stadtwache anschließen, weil er noch nicht fit genug ist. Doch seine Kondition bessert sich mit jedem Tag.
Ich überlege mir Vieles, um sein Leben mit sinnvollen Inhalten zu füllen. Wenn wir nicht arbeiten oder uns lieben – was wir ziemlich häufig tun –, werkeln wir an unserem Haus. Nicht nur der Garten muss angelegt werden, uns fehlen auch noch Möbelstücke. Unser neues Heim sieht verrückt aus und ein wenig chaotisch mit den bunten Wänden und den verschiedenen Stühlen und Schränken, die überhaupt nicht zusam menpassen, daher passt es z u uns und unserer Beziehung.
Da ich Veronica bei vielen Angelegenheiten geholfen habe, hat sie mich gefragt, ob sie die Möbel aus meiner ehemaligen Wohnung in White City in unser neues Haus liefern lassen soll. Aber das habe ich dankend abgelehnt. Ich will hier mit Storm wirklich neu anfangen. Also streifen wir durch ehemalige Hotels und Wohnhäuser, um uns dort alles Nötige zusammenzusuchen. Es macht Spaß, mit Storm unterwegs zu sein, und er kennt eine Menge interessanter Ecken. Jeder neue Tag mit ihm ist ein Abenteuer.
Kapitel 7 – Ein paar Monate später
»Jetzt verrate mir doch bitte endlich, warum ich mich in Schale schmeißen musste?« Ich trage meine beste Anzughose und ein kurzärmliges Hemd. Storm hat mich direkt von der Krankenstation abgeholt und mir die Sachen mitgebracht. Ich musste eine Stunde länger arbeiten, da Samantha mich gebeten hat, sie zu vertreten.
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