Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald
hinunter, spazierte zwischen den Geschäften der Altstadt, besah sich die Gebäude am Hauptplatz. Er nahm ein Taxi und ließ sich zu der Adresse in der Rosenauerstraße fahren. Es war ein mehrstöckiges Wohngebäude.
Er starrte die Fassade hinauf. Im Erdgeschoss war ein Fenster einen Spalt breit geöffnet. Er glaubte, eine Bewegung hinter dem Vorhang gesehen zu haben. Baltasar tat so, als habe er es nicht bemerkt, und stellte sich an die Eingangstür. Die Namen auf den Klingelschildern fingen alle mit anderen Buchstaben an. Kein H. Keine Helming. Keine Eva.
Nun war er in Linz, genau an dem Ort, an dem das Mädchen gewohnt hatte, aber er wusste nicht, wie er weiter vorgehen sollte. Er hatte gehofft, einen Hinweis zu finden, aber vielleicht war er zu naiv gewesen. Eine Chance blieb noch: Im Archiv des Rathauses nach der Umzugsadresse der Helmings zu forschen, vorausgesetzt, er bekam spontan einen Termin.
»Was machen Sie da? Ich beobacht’ Sie schon die ganze Zeit.« Das Fenster im Erdgeschoss war geöffnet, ein Kissen lag über der Fensterbank, eine Frau mit Lockenwicklern und Haube lehnte mit ihren Armen darauf.
»Entschuldigung, gnädige Frau, ich dachte, ich finde an dieser Adresse jemanden, aber ich habe mich getäuscht.«
»Sie sind nicht von hier, das merkt man gleich. So viele Fremde verirren sich nicht zu uns.«
»Ich bin aus Deutschland angereist, aus dem Bayerischen Wald.« Baltasar ging einige Schritte, bis er unter dem Fenster stand. »Und jetzt, alles vergeblich.«
»Dass Sie keiner der Tschuschen sind, das hört man. Ein Waldler also. Auch nicht viel besser.«
»Darf ich mich vorstellen. Mein Name ist Baltasar Senner. Ich bin Pfarrer von Beruf.«
»Pfarrer wolln’s sein? Dass ich net lach! Wo habn’s denn Ihr schwarzes Manterl? Das tragen Pfarrer doch, dachte ich immer. Bei uns in der Kirch hat der Priester was Schwarzes an. Und Senner ist auch kein origineller Name. Sie hätten sich was Besseres einfallen lassen sollen.«
»Den Namen habe ich von Geburt an, das lässt sich nun mal nicht ändern, gnädige Frau.« Er versuchte, weiterhin höflich zu klingen. »Ich kann Ihnen auch meinen Ausweis zeigen, wenn Sie wollen.«
Die Frau nahm eine Zigarette und zündete sie sich an. »Das sagen sie alle. Gefälschte Ausweise kann man heute an jeder Straßenecke kaufen. Sie treiben sich verdächtig bei uns rum, machen sich an der Haustüre zu schaffen. Was wollten Sie wirklich? Versuchn’s net zu lügen, ich durchschau die Leut.«
»Wie ich schon sagte: Ich suche jemanden. Wenn Sie mich kurz hereinlassen, erkläre ich es Ihnen gerne genauer.«
»So schaun’s aus! Wusst ich’s doch! Sie sind einer dieser Trickbetrüger, von denen man immer im Fernsehen hört.« Sie nahm einen Zug aus der Zigarette. »Bleiben’s bloß, wo Sie sind! Wenn ich Sie in meine Wohnung ließe, dann wär mein Geld unterm Kopfkissen gleich weg. Der Enkeltrick, den kenn ich schon vom Fernsehen. Sie geben sich als unbekannter Verwandter aus, lenken mich ab und verschwinden mit meinem Geld. Nein danke!«
»Recht haben Sie, vorsichtig zu sein. Sie haben eine scharfe Beobachtungsgabe. Da wird Ihnen wohl nicht entgangen sein, dass die Täter sofort Reißaus nehmen, wenn sie entdeckt werden. Das Fernsehen berichtet immer wieder davon.«
»Das stimmt, ich beobacht’ die Leut. Ich sitz fast jeden Tag hier am Fenster und schau mir ganz genau an, was die Leut so treiben, die vorbeigehen. Oder die von gegenüber. Kommen’s a bisserl näher, damit ich Sie besser sehen kann.«
Baltasar lächelte und tat ihr den Gefallen.
»Nun, a ehrlichs Gsicht habn’s, net wie a typischer Verbrecher. Aber des sagt nichts.« Sie musterte ihn von oben bis unten. »Also, aus dem Wald kommen’s, sagten Sie. Wen suchen Sie noch mal?«
»Helming. Eine Eva Helming. Die Familie soll hier früher gewohnt haben. Ist schon länger her.«
»Ich hab ein gutes Gedächtnis, der Herr, was glauben Sie denn? Ich bin doch nicht verkalkt, ich erinnere mich an alles. Helming, sagten Sie?« Zigarettenqualm stieg in die Luft. »Helming. Ja, ich kenn den Namen. Ist aber wirklich lang her. Wohnt schon seit Ewigkeiten nicht mehr hier. Was genau wollten’s von ihr?«
»Ihre Tochter Eva ist verstorben. Ich wollte die Nachricht überbringen.«
»Die Tochter? Wie traurig. War ein freches Ding, a Flitscherl, tut mir leid, wenn ich das sagen muss. Und aufgemotzt war die, frühreif, wenn Sie mich fragen. Wohnte bei ihrer Großmutter.«
»Und die Eltern?«
»Früh
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