Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald
hinterher. Hoffentlich blieb die Unbekannte vorne am Eingang stehen. Als Pfarrer beim Einbruch erwischt zu werden, war das Letzte, was er sich wünschte. Es gelang ihm gerade noch, das Fenster zuzuziehen und mit seiner Beute in der Hecke zu verschwinden, als eine Frau mit Gartenschürze, etwa Mitte dreißig, um die Ecke gebogen kam. Er wartete, bis sie wieder verschwunden war, und schlug sich im Laufschritt zur Straße durch. Er hatte kaum den Gehweg erreicht, als er der Frau direkt in die Arme lief.
»Hochwürden, was machen Sie denn hier?« Die Überraschung war der Frau anzumerken. Das war der Nachteil des Jobs als Pfarrer – jeder kannte einen.
»Ich? Ich war gerade beim Joggen. Hab meine Sportsachen mitgenommen.« Er klopfte auf die Tasche. Es war eine erbärmliche Ausrede, aber etwas Besseres war ihm auf die Schnelle nicht eingefallen.
»Sie gehen joggen? Ich hab Sie noch nie laufen sehen, Herr Pfarrer.«
»Ich habe auch erst kürzlich damit angefangen. Wahrscheinlich ist es nichts für mich.«
»Soll ich Ihnen einen Lappen bringen? Ich wohne gleich nebenan. Ihre Tasche sieht ganz staubig aus. Wo waren Sie denn joggen? In einer Kiesgrube?«
»Danke, das ist nett von Ihnen. Aber ich muss jetzt los.«
»Einen Augenblick noch, Hochwürden, Sie können mir helfen.« Die Frau hielt ihn am Ärmel fest. »Ich habe Geräusche im Haus der toten Bichlmeier gehört. Da ist jemand drin!«
»Sie kennen doch die alte Hütte, in solchen Gemäuern knarzt und knackt es ständig. Manche meinen sogar, darin spukt’s.«
»Aber es kam vom Dachboden. Als ob dort jemand herumging.«
»Das kann nicht sein.« Er deutete auf die Eingangstür. »Sehen Sie selbst, das Schloss ist von der Polizei versiegelt. Da kommt niemand rein oder raus, bestimmt nicht.«
»Aber …«
»Ich glaube, das waren Mäuse.«
»Die sind doch nicht so laut.«
»Haben Sie schon mal eine Maus aus der Nähe beobachtet?«
»Du lieber Gott, nein! Mir graust’s vor diesen Viechern.«
»Sehen Sie, aber ich. Und ich sage Ihnen, Mäuse machen einen Höllenlärm, wenn sie sich sicher fühlen, das hört sich an wie Stepptanz. Schönen Tag noch!«
40
N achdem er sich geduscht und die Kleider gewechselt hatte, nahm sich Baltasar den Inhalt der Tasche vor. Er blätterte die Fotoalben durch, suchte nach Hinweisen, die einen Fingerzeig geben konnten auf ein mögliches Mordmotiv. Doch es waren Bilder, wie man sie tausendfach kannte: Landschaftsaufnahmen, Porträts, Schnappschüsse – Zeugnisse eines Lebens ohne besondere Höhen und Tiefen. Er hatte geglaubt, er verstehe Walburga Bichlmeier besser durch diese Fotos, doch er hatte sich getäuscht. Vielleicht hatte sie die Bilder versteckt, weil sie die Erinnerungen an ihr früheres Leben wegsperren wollte.
Um sicherzugehen, dass er nichts übersehen hatte, sah er sich die Aufnahmen ein zweites Mal an. Bei einem Foto blieb er hängen. Walburga, in die Kamera lächelnd, als junge Frau, schon damals ein schwarzes Kleid tragend. Es musste wohl ein ewiges Geheimnis bleiben, wer dieses Foto aufgenommen hatte. Sie stand auf einem unbefestigten Weg, links und rechts von ihr Felder. Ein Detail am Rande des Bildes ließ ihn innehalten. In der Ferne waren im Hintergrund schemenhaft Pfosten zu erkennen. Es konnten Marterl sein – oder Totenbretter. Baltasar holte sich eine Lupe und betrachtete die Stelle, bis ihm die Augen schmerzten. Er war sich fast sicher, es waren Totenbretter. Der Form nach war es die Gedenkstätte, bei der er das Skelett der Siebzehnjährigen gefunden hatte. Er spürte, wie sich sein Puls beschleunigte. Walburga Bichlmeier hatte also die Stelle gekannt. Die letzte Bestätigung fehlte, die Abbildung war dazu einfach zu unscharf.
Und eine Sache passte überhaupt nicht dazu: Auf diesem Foto waren eindeutig drei Totenbretter zu sehen.
Das Bild ließ ihm keine Ruhe. Er brauchte Hilfe und wusste, wen er anrufen musste – Emanuel Rossmüller. Der Heimatpfleger ging nach dem ersten Klingeln ans Telefon. Baltasar schilderte ihm seine Entdeckung, und Rossmüller versprach, so bald wie möglich vorbeizuschauen und sein Archiv mit Aufnahmen mitzubringen.
Danach besah sich Baltasar den restlichen Inhalt der Sporttasche. Die Kleidung würde gut zu einem jungen Mädchen passen, dachte er. Konnte es sein, dass sie einst Eva H. gehört hatte? Die Taschen der Jeans waren leer, bis auf ein altes Taschentuch. Zwei Taschenbücher steckten im Seitenfach der Sporttasche, ein Liebesroman und ein Reiseführer über
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