Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald
geschnappt. Das ist ja aufregend, wo haben Sie die Gebetskette denn her?«
»Ein Ministrant hat sie gefunden.« Baltasar hoffte, dass sein Gesprächspartner nicht weiter nachhakte. »Ich bin froh, dass die Herkunft nun geklärt ist. Ich bitte Sie aber, die Neuigkeit vorerst noch für sich zu behalten. Es soll eine freudige Überraschung für die Gemeinde werden. Außerdem sind vorher noch einige rechtliche Fragen zu klären. Eins ist mir nämlich noch nicht klar: Wem gehörte eigentlich der Rosenkranz, rein formell betrachtet? War es eine Leihgabe der Wallfahrtskirche vom Heiligen Blut?«
»Es war ein Geschenk, soweit ich weiß. Zumindest wurde das damals offiziell verkündet. Demnach müsste Ihre Gemeinde die rechtmäßige Besitzerin sein. Weshalb interessiert Sie das denn?«
»Wegen des Finderlohns.«
22
D ie Stimmung im Gasthaus »Einkehr« war verändert. Victoria Stowasser zeigte sich ungewohnt gereizt und wortkarg. Auf der Speisekarte fehlten die exotischen Kreationen, die die Wirtin sonst auszeichneten. Stattdessen standen nur noch regionale Gerichte zur Auswahl, die allerdings merkwürdig betitelt waren. Der Schweinsbraten mit Knödel beispielsweise hieß plötzlich »Aufstand der Tiere«, der Pichelsteiner Eintopf »Heimatliebe« und die Schlachtplatte mit Blut- und Leberwurst nannte sich »Revolutionsgemetzel«.
Auf jedem Tisch lag ein Flugblatt mit der Überschrift: »Der Bayerische Wald muss bayerisch bleiben – wider die Überfremdung«. Weiter hieß es in dem Papier, die Ansiedlung eines Sporthotels von ausländischen Investoren zerstöre die Umwelt und bedrohe die heimische Wirtschaft. Umrahmt war das Schreiben mit Bildern von Eulen, Hasen und Habichten, eine abwehrende Hand und ein Stopp-Schild signalisierten Gefahr.
Baltasar bestellte einen Silvaner. »Was ist denn passiert? Das wirkt hier ja wie eine Protestaktion.«
»Sie haben es erfasst.« Victoria stellte ihm das Glas hin. »Ich habe beschlossen, nicht tatenlos zuzusehen, wie neue Immobilienprojekte die gewachsene Struktur eines Ortes und meine Existenzgrundlage zerstören.«
»Ist denn schon ein Baubeschluss gefasst worden?«
»Noch nicht, aber wehret den Anfängen, sage ich. Der geplante Wellness-Komplex passt überhaupt nicht in unsere Landschaft. Und mir macht er die Kundschaft abspenstig.«
»Aber Ihre ausgefallenen Menüs sind doch unschlagbar, da haben Sie nichts zu befürchten.«
»Das Hotel wird auf jeden Fall eine mächtige Konkurrenz. Und es ist darauf ausgerichtet, dass die Gäste ihr Geld ausschließlich dort ausgeben.«
»So schlimm wird’s schon nicht werden.« Baltasar schlug einen beruhigenden Ton an. »Immerhin schafft es zusätzliche Arbeitsplätze.«
»Das ist doch genau das Totschlagargument! Jeder verspricht neue Jobs, und unterm Strich bleibt ein Minus. Für die paar Leute, die die einstellen, werden anderswo viel mehr gefeuert.«
»Warten wir’s ab.«
»Gewartet haben wir lang genug. Jetzt müssen Taten folgen. Ich zähle auf Ihre Unterstützung, Herr Senner!«
»Ich helfe natürlich, wo ich kann. Ich plädiere nur dafür, mehr Informationen zu sammeln. Ohne dass wir genau wissen, wie die Pläne aussehen, kann man nur spekulieren.«
Victoria holte ein weiteres Papier von der Theke. »Das ist eine Unterschriftenliste gegen den Bau des Sporthotels. Da müssen Sie sich eintragen.«
Baltasar saß in der Zwickmühle. Einerseits verstand er Victorias Position, andererseits hielt er Aktionismus ohne eine überlegte Strategie für wenig hilfreich. Vor allem war er sich selbst noch nicht darüber im Klaren, ob er das Bauprojekt gut oder schlecht finden sollte. Es gab wie so oft im Leben überall Vor- und Nachteile.
»Aha, da ist also die Aufrührerin.« Bürgermeister Wohlrab hatte das Lokal betreten und kam zu Baltasars Tisch. Er verbeugte sich übertrieben tief vor Victoria, was wohl als humorvolle Geste gedacht war.
Die Wirtin fand das gar nicht komisch. »Dass Sie sich hertrauen, Herr Bürgermeister. Sie sind doch der Initiator dieser miesen Sache!«
»Verehrte Frau Stowasser, ich bin immer gerne hergekommen, und daran hat sich nichts geändert.« Seine Worte waren in Sirup getränkt. »Ihr Essen ist stets vorzüglich. Mir ist allerdings zugetragen worden, Sie würden einen Protest gegen die Pläne der Gemeinde organisieren. Also wollte ich mir vor Ort ein Bild machen.«
»Als Bürgerin habe ich das Recht, meine Meinung zu äußern. Daran können Sie mich nicht hindern.«
»Keiner will Sie an
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