Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald
Himmel für diese Notlüge. Und da die Fingernägel der Sekretärin mittlerweile bearbeitet und lackiert waren, konnte sie sogar den Computer bedienen.
Baltasar las, was er über verschiedene Familien fand. Das Metzger-Ehepaar – schon immer Einheimische. Der Sparkassendirektor – ein Zugereister. Die Finks besaßen offenbar seit Jahrhunderten ihr Grundstück. Er probierte es mit einigen Teilnehmern der Geheimversammlung bei der heiligen Quelle. Walburga Bichlmeier war mehrmals umgezogen, aber die letzten drei Jahrzehnte im Ort geblieben. Nepomuk Hoelzl und seine Frau waren vom Norden des Bayerischen Waldes hierhergezogen.
Eine Eintragung elektrisierte Baltasar: Die Schindler-Familie war zuerst in einem Haus am Ortsrand gemeldet und hatte erst später einen Bauernhof bezogen – die Adresse war dieselbe wie die auf Ludwig Auers Meldekarte. Die Familie war dort eingezogen, kurz nachdem Auer den Hof verlassen hatte. Na so ein Zufall, dachte Baltasar. Es wurde definitiv Zeit für einen Besuch.
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W olken zogen auf und verknoteten sich zu einer grauen Decke. Der Wind verwirbelte die Blätter, und die Luft war abgekühlt. Baltasar trat fester in die Pedale, duckte sich über den Lenker, aber bei dem Gegenwind schien er kaum von der Stelle zu kommen. Unter seiner Regenjacke schwitzte er, das Haar war zerzaust, die Lunge pumpte wie ein Blasebalg. Er hatte den Ort bereits hinter sich gelassen und bog in eine Nebenstraße. Es ging bergauf. Seine Waden begannen zu brennen.
Baltasar strampelte im Wiegetritt den Anstieg hoch, um seinen inneren Schweinehund zu besiegen, und bog schließlich ab auf einen Schotterweg, der in den Wald führte. Nach einer Weile lichteten sich die Bäume. Der Weg mündete in ein Grundstück von der Größe mehrerer Fußballfelder. Das Zentrum bildete ein Vierseithof vom Anfang des letzten Jahrhunderts, an den sich weitere Bauten anschlossen: ein Austragshäusl, mehrere Lagerhallen und Scheunen und zwei Wohnhäuser neueren Datums. Sogar eine kleine Kapelle fand dazwischen Platz.
Ungewöhnlich war der Maschendrahtzaun, der um das Grundstück gezogen war. Kaum ein Bauer im Bayerischen Wald zäunte sein Eigentum ein; das behinderte nur beim Bestellen der Felder und war außerdem sehr kostspielig.
Der Weg endete an einem Tor. Eine Klingel war nirgends zu finden. Baltasar stellte sein Fahrrad ab und lugte durch den Zaun. Keine Menschenseele weit und breit.
»Grüß Gott, ist jemand zu Hause?« Er glaubte etwas gehört zu haben, aber nichts tat sich. Nun denn. Er zog das Tor einen Spalt auf, schlüpfte hindurch und wiederholte sein Rufen. Langsam ging er auf den Bauernhof zu. Im Vorbeigehen sah er in einer Scheune zwei Autos der gehobenen Preisklasse und ein Motorrad stehen. Die Kapelle war ein schmaler Bau mit zwei Seitenfenstern. Auf einem Altartisch standen ein Kreuz und eine Marienfigur, die einen Rosenkranz um ihre Hand gewickelt hatte. Eine Kerze brannte, sie trug das Zeichen mit den zwei gekreuzten Rosen. Eine Anspielung auf die Mutter Gottes, Sinnbild ihrer Reinheit und Schönheit. Zugleich aber auch das Symbol für ein Geheimnis, das es zu bewahren galt. Nicht umsonst zierten Rosen-Schnitzereien viele Beichtstühle.
»Was machen Sie hier?«
Baltasar erschrak. Hinter ihm stand eine Frau, etwa Ende dreißig, kurzes Haar, bekleidet mit Jeans und einer teuer aussehenden Strickjacke.
»Grüß Gott, ich bin Pfarrer Senner. Ich will zur Familie Schindler.« Die Frau kam ihm bekannt vor.
»Ach so, Hochwürden, jetzt erkenne ich Sie erst.« Sie reichte ihm die Hand. »Ich bin Christina Schindler. Hubert ist mein Ehemann. Sie hätten sich bemerkbar machen sollen, man könnte Sie sonst für einen Einbrecher halten.«
»Am Eingang war keine Klingel. Ich hab gerufen.«
»Ehrlich? Zu uns ist nichts durchgedrungen. Unsere Besucher hupen normalerweise, wenn das Tor geschlossen ist.«
»Ich bin mit dem Fahrrad da.«
»Ist Ihr Auto in der Werkstatt?«
»Die Gemeinde muss auf den Etat achten.« Das war die halbe Wahrheit, eigentlich wollte nur die Diözese sparen – auf Kosten der Gemeinde.
»Na wenn Sie jetzt schon mal da sind, kommen Sie doch mit rein.«
Baltasar folgte ihr zu einem der neueren Wohnhäuser. Im Vorgarten waren Gemüsebeete angelegt, die Eingangstür zierte ein Kranz aus Stroh. Die Wohnküche war die auf alt getrimmte Version einer Bauernstube, mit Naturholzmöbeln und karierter Tischdecke.
»Ich wusste gar nicht, dass Sie eine eigene Kapelle haben.« Baltasar hängte seine
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