Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald
Möglicherweise hatte die Quelle damit zu tun. Oder die Marienstatue mit dem Rosenkranz. Obwohl die Marienverehrung im Bayerischen Wald nun wirklich nichts Außergewöhnliches war. In vielen Gemeinden fanden sich Kirchen, die der Gottesmutter gewidmet waren.
Auch fielen die Rituale dieser Gruppe aus dem Rahmen: katholische Gebete und Lieder, dazwischen aber auch fremde Elemente jenseits des Katechismus. Baltasar fand, dass von der Gemeinschaft etwas Bedrohliches und Aggressives ausging. Seltsam war zudem, dass sich so unterschiedliche Menschen wie die alte Bichlmeier, wie Nepomuk Hoelzl oder die Finks und die Schindlers zusammenfanden. Welche Verbindung gab es zwischen ihnen?
Aus dem Augenwinkel sah Baltasar zwei Lichtpunkte am Rande des Weges, höchstens sechs Meter entfernt. Er schob sich hinter einen Baumstamm, darauf achtend, kein Geräusch zu machen. Ein Punkt glühte auf und erleuchtete Alfons Finks Gesicht, als er an einer Zigarette zog.
»Irgendwie war heute nicht die richtige Stimmung«, sagte er. »Ich weiß auch nicht, woran es lag.«
»Ich fand’s in Ordnung, feierlich und würdig wie immer.« Die Stimme gehörte seiner Frau Gabriele, die ebenfalls rauchte. »Vielleicht war das Ganze ein bisschen zu lang.«
»Unser Meister wirkte abwesend, er war nicht ganz bei der Sache. Das passiert ihm sonst nie.«
»Er sprach von dem toten Mädchen. Das schien ihm auf der Seele zu liegen. Warum sonst sollte das heute ein Thema sein?«
»Der Skelettfund ausgerechnet auf unserem Acker führt zu Unruhe. Ich musste mir von den anderen schon einige Fragen gefallen lassen. Nicht gerade angenehm, das kann ich dir sagen.«
»Kommt ja nicht alle Tage vor, eine unbekannte Leiche. Kein Wunder, dass sich die Leute das Maul zerreißen.«
»Du sagst es. Wir sollten vorsichtiger sein. Gehen wir.«
Der Strahl der Taschenlampe bohrte sich durch den Wald. Baltasar gab den beiden etwas Vorsprung, dann folgte er dem Licht in der Dunkelheit.
21
D as geheimnisvolle Treffen am Berg ließ Baltasar keine Ruhe. Besonders die Zeremonie mit der Statue und dem Rosenkranz. Er holte die Kette heraus, die Sebastian auf dem Acker seiner Familie gefunden hatte. Etwas musste es damit auf sich haben, das wertvolle Stück lag nicht zufällig neben einer Toten. Er sollte den Rat des Trödelhändlers befolgen und der Sache auf den Grund gehen, wofür ihm Neukirchen beim Heiligen Blut ein guter Ausgangspunkt schien. In dem Wallfahrtsort wohnte ein Pfarrer im Ruhestand, den Baltasar kannte. Ein Gespräch mit dem Kollegen konnte nicht schaden, er rief ihn an und kündigte seinen Besuch an.
Philipp Vallerot befragte ihn ausgiebig über seine »Jagderfolge«, aber Baltasar blieb einsilbig.
»Du warst verdammt lang weg. Ich dachte, du bringst mir das Fernglas noch am selben Abend zurück.« Philipp war der Verdruss anzumerken. »Ich hab mir Sorgen gemacht, ob du vielleicht einem Wilderer in die Quere gekommen bist.«
»Ich bin noch am Leben, wie du siehst. Auch Pfarrer haben einen Schutzengel. Genauso wie Ungläubige.«
»Bei mir im Garten schwirren nur Insekten herum. Von Schutzengeln keine Spur.«
»Lästere nur, der Schutz gilt universell, ob du willst oder nicht. Ein wenig Glauben könnte aber nicht schaden.«
»Verleiht mir der Glauben Flügel? Wohl kaum. Und dir auch nicht. Sonst könntest du zu deinen Verabredungen fliegen. Denn ich ahne, dass du schon wieder mein Auto brauchst.«
»Ich hoffe, dass mein Chef mir demnächst einen fahrbaren Untersatz zur Verfügung stellt. Bis dahin brauche ich deine Kiste.«
»Welchen Chef meinst du, den großen Außerirdischen oder den Oberboss in Passau?«
»Was für eine Frage. Her mit dem Schlüssel.«
Die Strecke führte in die Oberpfalz. Der Ort lag östlich von Cham, nur wenige Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt. Der Name der Gemeinde entstammte einer Legende. Ein Soldat versuchte im 15. Jahrhundert, eine Marienfigur mit dem Schwert zu spalten. Er traf den Kopf, aus dem daraufhin Blut floss. Der Frevler bekehrte sich zum katholischen Glauben, die Holzstatue blieb erhalten und wurde zum Heiligtum der Wallfahrtskirche, die alljährlich Zehntausende Gläubige anlockte.
Baltasar parkte in der Nähe des Franziskanerklosters und schlenderte zum Pfarrbüro in der Kirchstraße, wo Josef Urban ihn erwartete. Der schlaksige Mann mit den grauen Haaren hatte früher die Wallfahrtskirche betreut und wohnte seit Jahrzehnten in Neukirchen.
»Gehen wir zuerst in die Kirche. Ist zwar nicht ganz
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