Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald
Gottesmutter?«
»Mit Verlaub, Herr Pfarrer, die Mysterien unserer lieben Jungfrau gehen viel tiefer, als Sie denken. Sie spendet uns Trost, sie ist unsere Beschützerin im Alltag, sie gibt den Menschen Kraft und Freude. Man muss nur sein Herz öffnen und genau hinhören, um ihre Botschaften aufzunehmen. Für Sie ist sie wohl nur eine Heilige von vielen, Herr Pfarrer, aber ich sage Ihnen: Sie ist die Allerheiligste, die Göttliche. Wir verbeugen uns vor ihr. Wir lassen nicht zu, dass ihr Name in den Schmutz gezogen wird.« Hoelzls Worte trieften vor Pathos.
»Wichtig ist, dass wir an denselben Gott glauben. Ich will mir nicht anmaßen zu bestimmen, was die richtige Religiosität ist. Ich lasse Sie jetzt wieder allein mit dem Rosenkranz.« In Baltasar reifte die Idee, er müsse mehr über diesen Nepomuk Hoelzl in Erfahrung bringen.
Draußen standen die Menschen in Gruppen zusammen und unterhielten sich. Der Schwatz nach einer Messe, der gemeinsame Frühschoppen im Wirtshaus, war eine gute alte Tradition im Bayerischen Wald, der ideale Markplatz zum Austausch von Klatsch und Gerüchten. Außerdem eine gute Gelegenheit, sein Sonntagsgewand herzuzeigen, das sonst in der Gruft des Kleiderschranks vermoderte. Bei den Männern war es der schwarze Anzug, während die Frauen kreativer mit ihren Moden umgingen, was natürlich zusätzlichen Gesprächsstoff und Anlass zu Lästereien hinter dem Rücken der Betroffenen lieferte.
»Hat sich mein Kollege bei Ihnen gemeldet?« Dix war ungehalten.
Baltasar schüttelte den Kopf. »Entschuldigen Sie mich, wir sehen uns später.«
Lydia Schindler und ihre Schwiegertochter kamen auf ihn zu.
»Herr Senner, haben Sie einen Moment Zeit?«, fragte Christina Schindler.
»Natürlich, Frau Schindler, mein Abschied bei Ihnen war, wie soll ich sagen, etwas abrupt.«
»Sie wissen gar nicht, wie unendlich leid es mir tut«, sagte Lydia Schindler. »Das haben wir auf dem Grundstück gefunden.«
Sie überreichte ihm eine Tüte. Darin lag seine völlig zerfetzte Regenjacke.
»Max hat sie in den Klauen gehabt, tut uns leid.«
»Max?«
»Unser Haushund. Er ist normalerweise eingesperrt.« Lydia senkte den Kopf. »Wir haben keine Ahnung, wie er aus dem Zwinger entkommen konnte. Ich werde Ihnen den Schaden selbstverständlich ersetzen.«
»Vergessen Sie’s. Spenden Sie lieber für unsere Kirche.«
»Für alle Fälle gebe ich Ihnen die Adresse unserer Haftpflichtversicherung.« Sie holte einen Stift heraus, notierte die Daten auf einem Zettel und überreichte ihn Baltasar. »Heben Sie das auf. Falls die Schäden schlimmer sind als gedacht. Meinem Sohn tut es auch leid. Ich entschuldige mich für ihn und seinen Ausbruch. Er ist momentan nicht gut drauf.«
Baltasar hatte Mühe, die krakelige Schrift der Frau zu entziffern.»Warum sagt mir das Herr Schindler nicht selbst?«
»Er ist, wie gesagt, ein wenig von der Rolle. Aber er ist ein guter Mensch und meint es nicht so. Ich kenne meinen Sohn genau.«
»Bemerkenswert, wie Sie Ihren Hubert verteidigen.«
»Ich bin seine Mutter. Und als seine Mutter tue ich alles, um ihm zu helfen. Aber das können Sie nicht verstehen, Sie haben keine Kinder.«
»Eine andere Frage: Wie finden Sie unseren Rosenkranz?«
»Ein ungewöhnliches Stück, passen Sie gut darauf auf, Herr Pfarrer, sonst kommt es Ihnen wieder abhanden. Schönen Tag noch, wir müssen los.« Sie hakte ihre Schwiegertochter unter.
»Wo ist mein Kollege?« Wolfram Dix ging auf und ab. »Haben Sie ihn gesehen, Herr Senner?«
»Sind Sie nicht gemeinsam da?«
»Er sagte, er wolle nachkommen, er habe noch etwas vor.«
Eine Autotür schlug zu. Oliver Mirwald bahnte sich einen Weg durch die Menge, wobei ihn die Leute fassungslos anstarrten. Als Dix seinen Assistenten endlich erblickte, traute er seinen Augen nicht.
»Bei allen guten Geistern, was ist denn in Sie gefahren, Mirwald, sind Sie jetzt total durchgedreht?«
»Schick, nicht?« Mirwald lächelte. Er trug eine kurze Lederhose, Wollstrümpfe, Haferlschuhe, ein besticktes Hemd und eine Trachtenjacke.
»Mirwald, wir sind doch hier nicht beim Fasching.«
»Was haben Sie denn? Sie haben mir doch vorgeworfen, ich würde mich nicht genügend dem Bayerischen Wald anpassen. Da habe ich mir eben diese Ausrüstung besorgt.« Er klopfte auf seine Hose. »Echt Hirschleder.«
»Mein lieber Herr Doktor, darf ich Sie mal aufklären? Bei uns hier gibt es diese Trachten- und Lederhosenkultur nicht. Das ist Touristenzeug in Oberbayern, aber nicht
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