Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald
zweifelsohne einer Todsünde gleichkam.
Die Leute strömten in Massen in die Kirche, als gäbe es das Grabtuch von Turin zu sehen. Selbst Bischof Siebenhaar bequemte sich zu einem Anruf und gratulierte zu dem spektakulären Fund, nicht ohne den Hinweis anzubringen, »künftig besser auf dieses einzigartige Kleinod aufzupassen«.
Das Kirchenportal flankierten zwei übermannsgroße Kerzen mit Marienbildern, über dem Eingang prangte eine Seidenbanderole in Rot mit der gestickten Inschrift »Gegrüßet seist du Maria«. Die Farbe setzte sich fort in den Rosenblättern, die auf den Mittelgang gestreut waren und im Altarbereich in einen See von Rot mündeten. Unter der Statue der Gottesmutter in der Nische stand ein Tisch mit roter Samtdecke, alles erleuchtet vom Licht hunderter Kerzen im Innenraum.
Baltasar hatte eine kleine Prozession organisiert, die am Pfarrheim startete. Sebastian und sein Freund Jonas trugen den Rosenkranz vorneweg. Die Gebetskette wurde wie eine Reliquie präsentiert – unter Glas, auf Samt gebettet, eingefasst von einem Goldrahmen. Hinter den Buben folgte Baltasar in einer rotgewirkten Stola. Dahinter die Priester benachbarter Pfarreien, Josef Urban aus Neukirchen beim Heiligen Blut, Vertreter der örtlichen Parteien, Bürgermeister Wohlrab und seine Frau, der Landrat und ein Landtagsabgeordneter aus München. Sogar Daniel Moor, der Assistent des Generalvikars, war als offizielle Abordnung der Diözese angereist und hatte Baltasar im Vorbeigehen zugeraunt: »Welche Mischung präsentieren Sie uns heute? Ich hoffe auf was Gutes für die Nase, etwas, was einen umhaut.«
In der Tat hatte er zur Feier des Tages einen extrafeinen Rosenweihrauch ausgesucht, ergänzt mit Propolis und heimischem Waldweihrauch, einer Rarität, die aus Fichten des Bayerischen Waldes gewonnen wurde. Das Aroma aus dem Turibulum verteilte sich, mild und duftend. Die Gruppe setzte sich in Bewegung. Die Fanfarenbläser des Spielmannszugs setzten ihre Instrumente an und schmetterten ein Begrüßungssignal. Die Mitglieder des lokalen Schützenvereins, einheitlich gekleidet, traten vor und jagten zwölf Salutschüsse in die Luft.
Beim Betreten der Kirche spielte der Organist eine Eröffnungsmelodie, die Gäste erhoben sich von ihren Bänken. Der feierliche Einmarsch endete vor dem Altar, wo die Ministranten das Rosenkranz-Objekt abstellten. Baltasar drehte sich zur Gemeinde, die Sondervorstellung konnte beginnen.
Denn eine Sondervorstellung war es, was er der Gemeinde bot, eine heilige Messe, extra für ein Schmuckstück arrangiert.
In der ersten Reihe saß wieder Kommissar Wolfram Dix, hinter ihm das Metzger-Ehepaar Max und Emma Hollerbach, daneben der Bankdirektor. Die Finks waren ebenfalls gekommen, ob wegen des Rosenkranzes oder wegen Sebastian, blieb offen. Nepomuk Hoelzl hatte einen Platz am Rand gewählt. In der Ecke beim Beichtstuhl, halb im Schatten, stand Walburga Bichlmeier.
Für seine Predigt hatte Baltasar das Thema Maria als Sinnbild für die Selbstbehauptung der Frau in heutiger Zeit gewählt. Er leitete über auf das Leben und Sterben, verwies auf die unbekannte Siebzehnjährige, die der Gewalt zum Opfer gefallen war, und ermahnte die Besucher, ihrer Christenpflicht nachzukommen und mitzuhelfen, das Schicksal der jungen Frau aufzuklären, um ihr den Frieden wiederzugeben. Von seiner Kanzel aus sah er zu seiner Überraschung, dass die Familie Schindler vollständig erschienen war, halb versteckt in der letzten Reihe. Mutig, hier zu erscheinen, dachte Baltasar. Hatten sie ihren Riesenköter auch mitgebracht? In ihren Mienen war keine Regung, kein schlechtes Gewissen zu erkennen.
Für die eigentliche Zeremonie ließ er den Rosenkranz von den Ministranten zurück zum Haupteingang tragen. Die Gottesdienstbesucher reckten die Hälse, manche versuchten, die Aufbewahrungsvitrine zu berühren, die meisten machten ein Kreuzzeichen. Dann wurde er im Seitengang wieder nach vorne getragen, damit die anderen Gemeindemitglieder ebenfalls die Chance erhielten, die Kostbarkeit zu bestaunen. Vor der Marienstatue übernahm Baltasar den Rosenkranz, hob ihn hoch und legte ihn auf den Tisch unter der Figur. Ein Raunen ging durch die Menge, manche wollten wohl Beifall klatschen, unterließen es aber im letzten Moment.
Vor dem Abschlusssegen wies er darauf hin, Herzen und Geldbeutel zu öffnen und für Maria und die Kirche zu spenden. Die Einnahmen flossen in die Kasse der eigenen Pfarrei und sollten nicht zur Diözese
Weitere Kostenlose Bücher