Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald
Zubereitung des Fleischs. Baltasar fand, es war an der Zeit, das Haus zu verlassen. Er schwang sich aufs Fahrrad und fuhr durch den Ort. Erst als er schon fast auf der Landstraße war, drehte er um und nahm einen Seitenweg. Das war die Gelegenheit, Walburga Bichlmeier einen Besuch abzustatten. Er hatte sie schon länger nicht mehr in der Kirche gesehen, was ungewöhnlich war. Sein Hintergedanke jedoch richtete sich auf die wirren Aussagen, die die Frau über die Tote gemacht hatte. Vielleicht lohnte es sich nachzubohren.
Sie wohnte in einem Austragshäusl, einem Bau also, den der Erbe eines Bauernhofes zu errichten hatte, um seinen Eltern eine Wohnstatt fürs Alter zu schaffen, so etwas wie der Vorläufer einer Rentner-WG. Walburga Bichlmeiers Heim glich mehr einer Hütte. Nur der hintere Teil war gemauert, der Vorderbereich aus Holz, selbst das Dach war mit Holzschindeln gedeckt. Das Gebäude duckte sich unter Bäumen, Hecken fassten es statt eines Zaunes rundherum ein, eine ungemähte Wiese, ein paar Obstbäume und ein Erdflecken mit verdorrten Pflanzen, Reste eines Kräutergartens.
Vor dem Haus stand ein Leiterwagen, dem ein Rad fehlte. Ein umgestürzter Blumenkübel lehnte daran. Verstreut am Boden lagen Wurzeln, Obstreste und Knochen, so als ob die Bewohnerin ihre Küchenabfälle auf diesem Weg entsorgte. Ein Fensterladen hing schief in den Angeln, das Glas hatte einen Sprung, ein Stück des Fensterbrettes fehlte. Darauf stand ein Topf, den wohl jemand die letzten zwanzig Jahre vergessen hatte. Baltasar hätte es nicht gewundert, wenn plötzlich die Hexe aus Hänsel und Gretel aufgetaucht wäre.
Er klopfte an die Tür. Stille. Er horchte. Das Haus lag wie ausgestorben da. Er klopfte noch einmal. »Frau Bichlmeier, sind Sie da? Hallo!« Immer noch Friedhofsruhe. Dann tat sich etwas. Ein Poltern. Schritte. Mit einem Quietschen öffnete sich die Tür, wenn auch nur einen Spalt. Zwei Augen spähten heraus.
»Ja?«
»Erkennen Sie mich nicht, Frau Bichlmeier? Ich bin’s, Pfarrer Senner.«
Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. »Ach ja, stimmt, Hochwürden, Sie sind’s. Was wollen Sie?« Ihre Stimme klang misstrauisch.
»Sie besuchen. Lassen Sie mich herein?«
»Ich mach gerade meinen Mittagsschlaf. Da will ich nicht gestört werden. Kommen Sie später wieder, Hochwürden.«
»Aber jetzt sind Sie eh schon wach. Und ich habe extra wegen Ihnen vorbeigeschaut.«
Sie überlegte. »Meinetwegen. Aber nur, weil Sie’s sind, Herr Pfarrer.« Sie öffnete die Tür. Wie immer hatte sie ihr schwarzes Kleid an, nur das Kopftuch fehlte, das graue Haar war hinten zu einem Dutt geknotet. Baltasar fragte sich, ob das Kopftuch das Einzige war, was die Frau zum Schlafen ablegte. Als er eintrat, bemerkte er, dass sie ihre Gehhilfe wie einen Schlagstock hielt.
Die Hütte bestand nur aus zwei Zimmern. Der Hauptraum war eine Küche, die zugleich als Wohnraum diente. Ein Sofa stand unterm Fenster, in der Mitte ein Tisch mit zwei Stühlen. Darüber hing eine nackte Glühbirne, eine Marienfigur stand auf dem Sims. Eine Tür gab den Blick frei in den zweiten Raum: ein Schrank, ein Bett, ein Nachtkästchen, darauf eine Kerze. Bad und Toilette mussten seitlich angebaut sein.
»Besuch hatte ich keinen erwartet.« Walburga Bichlmeier füllte einen Kessel mit Wasser und stellte ihn auf den Herd. Baltasar fragte sich, wann sie zuletzt einen Gast hier gehabt hatte.
»Ich mach einen Kräutertee. Sie mögen doch Tee?«
Kaffee wäre ihm lieber gewesen, doch er nickte.
»Ein Sud aus Melisse, Kamille und Rosmarin, ist gut für die Blase. Meine eigene Mischung.« Sie hantierte mit den Gläsern. Baltasar fielen die Tongefäße in den Regalen auf. Laut Beschriftung enthielten sie heimische Kräuter und Gewürze und Basismaterialien zum Anrühren von Arzneien, fast wie die Grundausstattung einer Apotheke.
»Eine nette Sammlung haben Sie da.« Er deutete auf die Gefäße.
»Was ich brauch, rühr ich mir selber an, die Kräuter helfen gegen alles.« Sie hielt inne. »Früher sind die Leit sogar zu mir gekommen, wenn sie krank waren. Ich hab eine Salbe oder ein Wässerchen hergerichtet, und schon ging’s ihnen wieder besser. Aber nun erzählen Sie, Hochwürden, warum sind Sie hier?«
»Ich hab mir Sorgen gemacht, nachdem ich Sie nicht mehr in der Kirche gesehen habe. Ich dachte, vielleicht sind Sie krank geworden, und ich schaue besser mal nach Ihnen.«
»Ich kann mir selber helfen, das können Sie mir glauben. Mein Lebtag war ich noch
Weitere Kostenlose Bücher