Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald
nicht beim Doktor, und ich werde auch zu keinem gehen, bis ich ins Kisterl falle. Die Jungfrau Maria hält ihre schützenden Hände über mich.« Sie bekreuzigte sich.
»Die Mutter Gottes bedeutet Ihnen sehr viel, nicht wahr?«
»Sie ist die Einzige, die Wahre, die Herrin meiner Schmerzen und meiner Freude. Ich bete jeden Tag zu ihr.«
»Warum kommen Sie nicht öfter zu mir in die Kirche?«
»Ich bete gern für mich, zu Zeiten, wenn es mir passt. Ich bin in meinem Alter nicht mehr so beweglich.«
»Jetzt, wo der Rosenkranz wieder seinen Platz gefunden hat bei der Marienstatue, wäre das nicht ein freudiger Anlass für einen Besuch?«
»Der Marien-Rosenkranz, ja.« Sie war in Gedanken versunken. »Er ist wieder da.«
»Ist das nicht eine Freude für Sie und die anderen Marienkinder?«
»Ma … Marienkinder?« Sie fing an zu stottern. »Was meinen Sie damit? Woher wissen Sie …«
»Ich weiß auch von Nepomuk Hoelzl, dem Kopf Ihrer Gruppe – oder soll ich besser sagen: Sekte?«
»Heilige Maria und Josef!« Sie bekreuzigte sich wieder. »Das … Das ist vertraulich! Wir … Wir dürfen nicht darüber reden. Wir sind keine Ketzer, wir sind Gläubige.«
»Weshalb dann die Geheimnistuerei?«
»Ich kann nichts sagen, ich hab ein Gelübde abgelegt. Nur so viel: Wir tun nichts Unrechtes, wir feiern unseren Glauben an verschiedenen Orten.«
»Dann hat den Rosenkranz also einst die Marienkinder-Gruppe gestiftet?«
»Wer ihn genau bezahlt hat, weiß ich nicht, aber er war gedacht als Lobpreisung unserer Jungfrau Maria.«
»Und wer hat ihn gestohlen? Jemand aus Ihrem Kreis, der ihn für sich allein haben wollte?«
»Wo denken Sie hin, Hochwürden! Des wär a Sünd, da holt einen der Deifi, dafür kommt man in die Höll!« Die Entrüstung der alten Frau schien echt.
Baltasar nahm einen Schluck des Kräutergebräus, mit Zucker war es einigermaßen erträglich. Er beschloss, Walburga Bichlmeier ohne Umschweife nach der Unbekannten zu fragen. »Das letzte Mal, als Sie den Teufel erwähnten, war es im Zusammenhang mit dem toten Mädchen.«
Walburga Bichlmeier sah ihn an und schwieg. Wie geistesabwesend wischte sie mit der Hand über die Tischplatte.
»Frau Bichlmeier, was wissen Sie über das Mädchen? Bitte, reden Sie mit mir!«
Noch immer starrte sie auf den Tisch. Nichts deutete darauf hin, dass sie ihn verstanden hatte. »Der Deifi. Der Deifi hat des Madl g’holt, jetzt ist es zu spät.«
»Was ist zu spät?«
»Sie ist tot, des Madl ist tot. Die arme Seel’, der Deifi hat sich seinen Anteil genommen.«
»Warum sollte die Unbekannte in die Hölle kommen? Sie ist das Opfer eines feigen Mörders!«
»Opfer. Ein Opfer.« Wieder rieb sie über die Platte, als wolle sie unsichtbare Flecken tilgen. »Das Madl ist ein Opfer. Heilige Maria Mutter Gottes, hilf! Hilf uns Sündern.« Sie schlug ein Kreuz.
»Erleichtern Sie Ihre Seele. Reden Sie!«
Aber die Frau blieb stumm, gefangen in ihren eigenen Gedanken, gefangen in einer Welt, die nur sie kannte.
Baltasar musste auf anderem Weg versuchen, ihren Abwehrpanzer zu durchbrechen. Sie wusste mehr, als sie sagen wollte. Er nahm die Marienfigur vom Sims und stellte sie auf den Tisch. Walburga Bichlmeiers Augen verfolgten jede seiner Bewegungen. Er faltete die Hände, betete den Anfang des Rosenkranzes und drehte die Statue so, dass sie direkt auf die Frau blickte.
»Das ist die Jungfrau Maria.« Er wählte einen pathetischen Tonfall, den er sich sonst für besondere Gelegenheiten wie Hochzeiten oder Beerdigungen aufhob. Es kam nun darauf an, überzeugend zu sein. »Sehen Sie die Mutter Gottes an, Frau Bichlmeier, schauen Sie ihr direkt in die Augen. Vertrauen Sie der Weisheit und Güte dieser Heiligen?«
Die alte Frau nickte stumm. Sie faltete ebenfalls die Hände.
»Die Beschützerin kennt die Wahrheit, kann in unsere Herzen blicken, sieht alles, weiß alles.«
Wieder nickte sie.
»Dann sagen Sie der Gottesmutter vor Ihnen nun die Wahrheit: Was war mit dem toten Mädchen?«
»Ich … Ich kann nicht. Ich … habe versprochen …« Sie zitterte.
»Sprechen Sie, schütten Sie der heiligen Maria Ihr Herz aus, sie hat Verständnis und wird Ihnen verzeihen. Sie wollen doch nicht Ihr ganzes Leben eine Lüge mit sich herumtragen.«
»Die … Ich … Ich kannte das Madl.« Ein Beben ging durch ihren Körper. Sie schluchzte und verbarg das Gesicht mit den Händen. Es dauerte eine Weile, bis sie sich wieder gefangen hatte. Tränen liefen ihr die Wangen herab. »Das
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