Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald
bestellt?« Das war die Frage, weswegen sie eigentlich hier waren.
»Darf ich Ihnen nicht sagen, Hochwürden, das sind Geschäftsinterna. Sie wollen also exakt das gleiche Modell?«
Vallerot stieß Baltasar heimlich mit dem Fuß an und machte ein Zeichen in Richtung Halle. Er verstand.
»Das gleiche Modell, natürlich. Nur um sicherzugehen, dass wir von derselben Kerze sprechen, haben Sie ein Musterstück auf Lager, das Sie mir zeigen können?«
»Muss ich nachschauen.« Die Frau schob den Ordner zurück ins Regal.
Baltasar erhob sich. »Ich begleite Sie selbstverständlich. Philipp, du kannst ja hier warten, das wird dich eh nicht interessieren.« Zusammen mit der Frau verließ er das Büro.
Kaum war die Tür zugefallen, sprang Vallerot auf, ging ans Regal und nahm sich den Ordner, den die Frau zuvor benutzt hatte. Hastig sah er Seite für Seite durch, Rechnungen, Lieferscheine, Mahnungen in immer anderen Varianten. Da blieb sein Blick an einem Namen hängen. Das war es. Treffer. Er brachte den Ordner an seinen Platz zurück und konnte sich gerade noch rechtzeitig hinsetzen, bevor die Frau mit Baltasar wieder hereinkam. Er blinzelte ihm zu.
»Und wie viel darf ich für Sie aufschreiben, Hochwürden? Wir liefern frei Haus. Unsere Zahlungsfristen sind human.«
»Sie haben wirklich eine fantastische Auswahl. Mir schwirrt der Kopf. Ich glaube, ich muss noch mal darüber nachdenken, ob mir nicht doch ein anderes Modell besser zusagt. Danke für Ihre Beratung.« Sie verabschiedeten sich.
»Also halt dich fest«, sagte Vallerot, als sie im Auto saßen. »Ich glaube, wir haben deinen Sektenchef gefunden. Alle Lieferungen und Rechnungen gehen an Nepomuk Hoelzl.«
29
N epomuk Hoelzl. Dieser unscheinbar wirkende Mann sollte der Anführer einer obskuren Gruppe von Gläubigen sein? Die Hinweise waren eindeutig: Er tauchte bei den Veranstaltungen der selbsternannten Marienkinder auf, konnte einen herrischen Befehlston annehmen und passte durchaus in Größe und Körperform zu dem Vorbeter mit Umhang bei der heiligen Quelle. Doch was war er eigentlich – ein Laienprediger, ein religiöser Fanatiker, ein Sektenführer gar, wie Vallerot glaubte? Das führte zu einer weiteren Frage: Waren die Marienkinder eine harmlose Vereinigung von Katholiken, die die Mutter Gottes verehrten und das Ganze mit Geheimniskrämerei würzten? Oder waren sie Abspalter, Sektierer, die die Lehren der Amtskirche mit Füßen traten, indem sie heidnische Ersatzrituale inszenierten? Die Grenze zwischen erlaubt und unerlaubt war fließend, gerade in den Augen der Bischöfe und ihres Vorgesetzten in Rom. Solange solche Gruppierungen die Vorherrschaft der katholischen Institutionen akzeptierten, war alles in bester Ordnung.
Selbsternannte Prediger waren im Bayerischen Wald immerhin nichts Neues. Baltasar kannte natürlich die Geschichte vom Mühlhiasl. Dahinter verbarg sich angeblich der Müllerssohn Matthäus Lang, geboren Mitte des 18. Jahrhunderts. Er soll sich als junger Mann mit der Obrigkeit eines Klosters zerstritten haben und daraufhin nach Rabenstein bei Zwiesel gezogen sein. Als Einsiedler machte er mit seinen Weissagungen von sich reden.
Er prophezeite einen dritten Weltkrieg, den großen »Bänkeabräumer«, und nahm geschichtliche Ereignisse und Erfindungen vorweg, zumindest lassen die Aussagen solche Deutungen zu. »Da wird eine Zeit kommen, in der man für zweihundert Gulden keinen Laib Brot erhält« – eine Ankündigung der Inflation? »Da wird ein strenger Herr kommen und ihnen die Haut abziehen und ein strenges Regiment führen« – ein Hinweis auf das Dritte Reich? »Eiserne Straßen werden in den Wald gebaut, und grad am Klautzenbach vorbei wird der eiserne Hund bellen« – eine Vision der künftigen Eisenbahn? »Wenn im Vorwald die eiserne Straße gebaut wird, geht es los.« Ob Zufall oder nicht: Der Erste Weltkrieg im August 1914 begann am selben Tag, an dem die Eisenbahnlinie von Kalteneck nach Deggendorf eingeweiht wurde.
Es gab da aber auch noch den Schafhirten Matthias Stormberger aus Rabenstein, der etwa zur selben Zeit lebte und nahezu identische Prophezeiungen absonderte, weshalb manche glauben, Lang und Stormberger seien ein und dieselbe Person. »Es wird eine Zeit sein, da werden die Leut alleweil gscheiter und närrischer werden. Wenn ihr wüsstet, was euren Kindern und Kindskindern bevorsteht, ihr würdet in Schrecken vergehen.« Das soll eine Aussage von Stormberger sein, der außerdem die Erfindung des
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