Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald
Wissen Sie, bei mir sind im Laufe der Zeit eine Unmenge Gäste ein und aus gegangen, aber bei der war einiges seltsam. Deshalb hat es sich in mein Gedächtnis eingebrannt.«
Baltasar schöpfte Hoffnung, endlich jemanden gefunden zu haben, der die Existenz dieses Phantommädchens bestätigte. »Erzählen Sie einfach weiter, Herr Detterbeck.«
»Sie kam spätabends, allein. Das fand ich ungewöhnlich. Sie setzte sich an einen Tisch in der Ecke und bestellte nur eine Cola. Ich habe sie fülliger in Erinnerung als auf der Zeichnung, irgendwie unförmig. Das Verrückte war, deshalb ist mir das Mädchen unvergesslich, sie behielt den ganzen Abend ihren Mantel an. Und in meinem Lokal war es immer mollig warm.«
»Erinnern Sie sich an weitere Details?«
»Sie machte einen etwas wirren Eindruck. Es schien mir, als warte sie auf jemanden. Hat immer wieder zur Tür geschaut und von meinem Telefon aus Anrufe getätigt.«
»Wählte sie ins Ausland?«
»Es war eine kurze Nummer, muss also ein Ortsgespräch gewesen sein. Und weil Sie es erwähnen: Sie hatte einen österreichischen Akzent, aus Oberösterreich, würde ich sagen.«
»Hatte sie Gepäck dabei?«
»Ich weiß nicht. Ich glaub schon, wenn, allenfalls eine Tasche. Später hat sie sich doch noch was zum Essen bestellt, eine Suppe oder so, was Einfaches. Genau, da war noch was: Sie hat mich gefragt, ob ich einen Arzt im Ort wüsste.«
»Einen Arzt? War sie denn krank?«
»Das war es ja, sie sah erschöpft aus, aber eigentlich pumperlgsund. Ich fragte sie, was ihr fehle und ob ich sie ins Krankenhaus fahren solle, aber sie meinte, ihr gehe es gut, sie wolle sich nur später mal durchchecken lassen.«
»Wann ist das Mädchen wieder gegangen?«
»Irgendwann, fragen Sie mich nicht nach der genauen Uhrzeit, erreichte sie jemanden am Telefon. Es wurde ein lautes Gespräch, das mehrere Minuten hin und her ging. Ich kann mich nicht daran erinnern, was da besprochen wurde. Ich glaube, sie war sauer, weil sie so lange warten musste. Dann rief sie mich und zahlte. Eine Weile blieb sie auf ihrem Platz sitzen, dann wurde sie abgeholt.«
»Jemand anderes kam und nahm sie mit?« Baltasar war aufgeregt. War er dem Mörder auf der Spur?
»Ein Mann kam. Das Dumme ist nur, ich habe ihn nicht gesehen, ich hatte zu der Zeit in der Küche zu tun. Ich habe nur seine Stimme gehört. Keine Ahnung, wer er war. Jedenfalls: Als ich wieder in den Gastraum ging, waren die beiden verschwunden. Ich habe das Mädchen nie mehr wiedergesehen.«
30
B rachten die Informationen aus Bordeaux endlich eine Wende in dem Fall? Baltasar wusste es nicht, aber er war nun optimistischer. Er musste nur mit diesem Arzt reden, falls die Unbekannte dort hingegangen war. Teresa räumte den Schrank in der Küche aus auf der Suche nach einem großen Topf.
»Ich machen neues Rezept«, verkündete sie. »Für unseren Gast. Etwas aus dem Bayerischen Wald.«
Baltasar bemerkte, dass sie seinen Namen nicht erwähnte. »Gute Idee. Womit wollen Sie ihn überraschen?«
»Ich machen Pichelsteiner Eintopf, das Original aus unserer Region. Frau Stowasser hat mir ein Rezept kopiert.« Sie wedelte wie zum Triumph mit einem Blatt Papier. »Jetzt kann nichts mehr schiefgehen.«
In der Tat war Pichelsteiner eine Erfindung aus dem Bayerischen Wald. Die Zutaten waren simpel: mehrere Sorten Fleisch, Gemüse, Zwiebeln, in Brühe gekocht. Früher galt es als Essen für einfache Leute, das auf Vorrat zubereitet werden konnte. Handwerker und Bauern nahmen es für die Arbeit mit und brauchten es nur mehr erhitzen – niederbayerisches Fastfood sozusagen.
Die Kochgelehrten stritten darüber, wer das Pichelsteiner wirklich erfunden hatte und woher der Name stammte. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts ist das Rezept nachgewiesen. Die einen sagten, eine Wirtin aus Grattersdorf habe die Speise kreiert, Namenspatron war demnach der nahe gelegene Berg Büchelstein. Andere behaupteten, der Eintopf habe seine Geburt in der Stadt Regen erlebt, die Bezeichnung sei aus dem Pichel abgeleitet, dem Begriff für einen großen Kessel. Der Streit konnte bis heute nicht beigelegt werden, aber die Verantwortlichen in Regen handelten einfach auf eigene Faust und riefen ein Pichelsteinerfest aus, zu dem alljährlich Tausende Besucher strömten. Damit war auf pragmatische Weise durch die Macht der Masse das Scharmützel entschieden, ganz nach dem Motto: »Wo gefeiert wird, da ist die Wahrheit.«
Teresa dozierte über die Zutaten und die korrekte
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