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Stout, Maria

Stout, Maria

Titel: Stout, Maria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Soziopath von nebenan
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sofort den Wagen wendet, sondern
stattdessen einige Minuten damit verbringt, über das Problem nachzudenken, ist
das Ergebnis der natürlichen Schwachheit des menschlichen Verstandes. Dass Joe
am Ende die richtige Entscheidung trifft, bedeutet aus Thomas von Aquins
Sicht, dass Joes moralische Tugenden sich durch einen erstarkten Verstand in
die richtige Richtung entwickeln. Hätte Joe beschlossen, den Hund hungern und
dursten zu lassen, hätte sein solchermaßen geschwächter Verstand, theologisch
gesprochen, seine moralischen Tugenden zur Hölle geschickt.
    Nach den
frühen Kirchenvätern lautet die theologische Quintessenz: l. die Regeln der
Moral sind absolut; 2. allen Menschen ist das Wissen um die absolute Wahrheit
angeboren; und 3. schlechtes Verhalten ist das Ergebnis fehlerhaften Denkens,
nicht das Fehlen von synderesis, oder
Gewissen - und da wir alle ein Gewissen haben, gäbe es kein schlechtes
Verhalten, wenn nur der menschliche Verstand vollkommen
wäre. Und tatsächlich sind dies die drei Glaubenssätze über das Gewissen, die
von den meisten Menschen während des größten Teils der modernen Geschichte für
richtig gehalten wurden. Ihr Einfluss auf unser Denken über uns selbst und
andere ist nach wie vor unschätzbar. Besonders das dritte Dogma hält sich
hartnäckig. Fast ein Jahrtausend nachdem Thomas von Aquin seine These über synderesis aufgestellt hat, ziehen wir eine aktualisierte Fassung des Paradigmas
vom "schwachen Verstand" heran, wenn jemand fortwährend ein Verhalten
an den Tag legt, das wir gewissenlos finden. Wir spekulieren, dass der
Missetäter sozial benachteiligt ist, dass sein Verstand gestört ist oder dass
eine widrige Kindheit ihn so handeln lässt. Wir sträuben uns mit Händen und
Füßen gegen die viel naheliegendere Erklärung, dass entweder Gott oder die Natur
es versäumt hat, ihn mit einem Gewissen auszustatten.
    Über
mehrere Jahrhunderte hatten Diskurse über das Gewissen die Tendenz, um die
Beziehung zwischen menschlichem Verstand und gottgegebener Kenntnis der Moral
zu kreisen. Einige periphere Gesichtspunkte kamen hinzu, in jüngster Zeit die
Debatte um Proportionalismus, eine göttliche Hintertür, in der
uns der Verstand auffordert, etwas "Schlechtes" zu tun, um etwas "Gutes"
zu bewirken - zum Beispiel, einen "gerechten Krieg" zu führen.
    Aber zu
Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts erfuhr das Gewissen selbst eine
fundamentale Veränderung, durch die in Europa und den USA wachsende Akzeptanz
der Theorien des Arztes und Wissenschaftlers (und Atheisten) Sigmund Freud.
Freud entwickelte die These, dass in der Psyche kleiner Kinder im Laufe der
normalen Entwicklung eine internalisierte Autoritätsfigur, das Über-Ich, entsteht,
das im Laufe der Zeit tatsächlich vorhandene externe Autorität ersetzt - wobei
die externe Autorität nicht Gott, sondern die Eltern des Kindes sind. 16 Faktisch entrang Freud mit seiner "Entdeckung" des Über-Ichs das
Gewissen den Händen Gottes und legte es in die begierigen Klauen der allzu
menschlichen Familie. Dieser Umzug des Gewissens erforderte einige gewaltige
Änderungen in unserem jahrhundertealten Weltbild. Plötzlich hatten unsere
moralischen Führer tönerne Füße, und die absolute Wahrheit begann, sich den
Unwägbarkeiten des kulturellen Relativismus unterzuordnen.
    Freuds
neues Modell der Struktur der Psyche war nicht viergeteilt zwischen Mensch,
Löwe, Ochse und Adler. Stattdessen war es dreigeteilt, seine Vision bestand aus
dem Über-Ich, dem Ich und dem Es. Das Es setzte sich zusammen aus allen
sexuellen und irrationalen aggressiven Instinkten, mit denen wir geboren werden,
und den biologischen Bedürfnissen. Als solches stand das Es oft im Konflikt mit
den Erfordernissen einer zivilisierten Gesellschaft. Im Gegensatz dazu war das
Ich der rationale, bewusste Teil der Psyche. Es konnte logisch denken, Pläne
machen und sich erinnern, und da das Ich so ausgestattet war, konnte es direkt
mit der Gesellschaft interagieren und, mehr oder weniger, die Belange des
primitiveren Es berücksichtigen. Das Über-Ich entwickelte sich aus dem Ich,
indem das Kind die externen Regeln seiner Eltern und der Gesellschaft
verinnerlichte. Letztlich entwickelte sich das Über-Ich zu einer eigenständigen
Kraft in der heranreifenden Psyche, die einseitig das Verhalten und die
Gedanken des Kindes beurteilt und lenkt. Es war die befehlende, die Rute des
Schuldgefühls schwingende innere Stimme, die nein sagte, auch wenn niemand
anders anwesend

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