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Stout, Maria

Stout, Maria

Titel: Stout, Maria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Soziopath von nebenan
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Pfarrer, dem das seelische Wohl
einer ganzen Gemeinde anvertraut ist, ein gewissenhafter Mensch sein? Wir wollen
es hoffen. Könnte der mächtige politische Führer eines ganzen Volkes ein
Gewissen haben? Mit Sicherheit.
    Könnte im
Gegensatz dazu einer jeden dieser Personen das Gewissen völlig fehlen? Die
Antwort ist abermals ein irritierendes Ja.
    Die
Anonymität des "Bösen" und seine irritierende Weigerung, sich
zuverlässig an eine bestimmte gesellschaftliche Rolle, Rasse oder körperliche
Gestalt zu binden, hat von jeher die Theologie und, in jüngerer Vergangenheit,
die Wissenschaft geplagt. Während der gesamten menschlichen Geschichte haben
wir nach Kräften versucht, "Gut" und "Böse" zu erklären und
einen Weg zu finden, jenen in unserer Mitte Rechnung zu tragen, die vom Letzteren
beherrscht zu sein scheinen. Im vierten Jahrhundert führte ein christlicher
Gelehrter, der Heilige Hieronymus, das griechische Wort synderesis ein, um die angeborene, gottgegebene Fähigkeit zu beschreiben, den
Unterschied zwischen Gut und Böse zu erkennen. 13 Er interpretierte
Hesekiels biblische Vision von vier lebenden Wesen, die aus einer Wolke
erschienen, mit "einem Feuer, das hin- und herzuckte, und Glanz war rings
um sie her". Jedes der Wesen hatte die Gestalt eines Menschen, aber vier
verschiedene Gesichter. Das vordere Gesicht war menschlich, das rechte Gesicht
war das eines Löwen, das linke Gesicht war das eines Ochsen und das hintere
Gesicht war das eines Adlers. In Hieronymus' Interpretation von Hesekiels Traum
stand das menschliche Gesicht für die Vernunft, der Löwe für die Gefühle, der
Ochse symbolisierte das Verlangen und der erhabene Adler war "jener Funke
des Gewissens, der selbst im Herzen Kains nicht erloschen war ... der auch uns
unsere Sünde fühlen lässt, wenn wir von schlechtem Verlangen oder ungezügeltem
Geist überwältigt werden ... Und doch sehen wir in manchen Männern dieses Gewissen
gestürzt und vertrieben; sie haben kein Gefühl der Schuld oder Scham für ihre
Sünden."
    Hieronymus'
illustrer Zeitgenosse, der Heilige Augustinus von Hippo, war sich mit
Hieronymus einig über das Wesen des Gewissens. 14 Augustinus versicherte
seinen Anhängern, dass "die Menschen die Regeln der Moral erkennen, die im
Buche des Lichts namens Wahrheit geschrieben sind, aus dem alle Gesetze abgeschrieben
werden."
    Aber ein
beträchtliches Problem blieb. Da die Wahrheit - das absolute Wissen von Gut und
Böse - allen Menschen von Gott gegeben worden ist, warum sind nicht alle
Menschen gut? Warum sehen wir bei manchen Menschen "dieses Gewissen
gestürzt und vertrieben"? Und diese Frage blieb für viele Jahrhunderte im
Zentrum der theologischen Erörterungen des Gewissens. Trotz dieser ungeklärten
Frage war die Alternative - die Vorstellung, dass nur einige Menschen ein
Gewissen hätten - indiskutabel, denn sie hätte bedeutet, dass der Herrgott
selbst, indem er einigen seiner Diener die Wahrheit vorenthalten hätte, das
Böse in der Welt erschaffen und in scheinbarer Zufälligkeit unter allen Typen
und Unternehmungen der Menschheit verteilt hätte.
    Eine
Lösung des theologischen Dilemmas um das Gewissen schien sich im dreizehnten
Jahrhundert anzubahnen, als Thomas von Aquin 15 eine etwas
umständliche Unterscheidung zwischen der synderesis des
Heiligen Hieronymus, dem unfehlbaren, gottgegebenen Wissen von Gut und Böse,
und conscientia vorschlug, dem Ringen des
fehlbaren menschlichen Verstandes um die Entscheidung über das richtige
Verhalten. Um entscheiden zu können, wie man handeln sollte, ist der Verstand
von Gott mit vollkommenem Wissen ausgestattet worden, aber der Verstand selbst
ist schwach. In diesem System sind fehlbare menschliche EntScheidungsprozesse,
nicht das Fehlen eines Gewissens, verantwortlich für falsche Entscheidungen
und Handlungen. Falsches Handeln ist schlicht ein Fehler. Im Gegensatz dazu,
nach Thomas von Aquin, "kann synderesis nicht
irren; sie sorgt für Prinzipien, die sich nicht ändern, ebenso wie die Gesetze,
die das materielle Universum beherrschen, sich nicht ändern."
    Um diese
Auffassung auf unser zeitgenössisches Beispiel anzuwenden: Als Joe einfällt,
dass sein Hund ohne Futter und Wasser ist, sagt ihm die gottgegebene, angeborene
synderesis (das Gewissen), dass es das absolut richtige Verhalten ist,
umzukehren und den Hund zu versorgen. Conscientia, ein
geistiger Disput über das richtige Verhalten, berücksichtigt dann diese
Wahrheit. Die Tatsache, dass Joe nicht

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