Stout, Maria
kaltblütig töten, vergewaltigen oder foltern oder jemanden um seine
Ersparnisse bringen, zum Vergnügen in eine lieblose Beziehung locken oder absichtlich
sein Kind im Stich lassen.
Könnten
Sie so etwas fertig bringen?
Wenn wir
sehen, wie Menschen solche Taten verüben, sei es in den Nachrichten oder in
unserem eigenen Leben, fragen wir uns: Was sind das für Menschen? In seltenen
Fällen sind sie geisteskrank oder haben unter dem Druck eines extremen Affekts
gehandelt. Manchmal sind sie Mitglieder einer Gruppe, die verzweifelte Not
erleiden muss, oder sie sind drogenabhängig oder Anhänger eines bösartigen
Führers. Meistens jedoch trifft all dies nicht zu, sondern es sind Menschen,
die kein Gewissen haben. Es sind Soziopathen.
Gewiss
reflektieren die allerschlimmsten der unsäglichen Taten, über die wir in der
Zeitung lesen und die wir stillschweigend der "menschlichen Natur"
zuschreiben - obwohl solche Ereignisse uns als normale Menschen schockieren -
keineswegs die normale menschliche Natur, und wir beleidigen und demoralisieren
uns selbst, wenn wir das annehmen. Die gewöhnliche menschliche Natur, wenn sie
auch weit davon entfernt ist, vollkommen zu sein, wird in hohem Maße durch ein
disziplinierendes Gefühl der Verbundenheit beherrscht, und der wahre Horror,
den wir im Fernsehen beobachten und manchmal in unserem eigenen Leben ertragen
müssen, ist nicht typisch für die Menschheit. Vielmehr wird er durch etwas
ermöglicht, was unserer Natur durchaus fremd ist - das kalte und völlige Fehlen
eines Gewissens.
Dies ist
wohl, meine ich, für viele Menschen schwer zu akzeptieren. Es fällt uns schwer
anzuerkennen, dass gewisse Menschen von Natur aus schamlos sind, während wir
anderen nicht so sind, zum Teil wegen der von mir so genannten "Schatten-Theorie"
der menschlichen Natur. Die Schatten-Theorie - die einfache und wahrscheinlich
zutreffende Vorstellung, dass wir alle eine "Schattenseite" haben,
die sich nicht unbedingt in unserem normalen Verhalten zeigt - stellt in ihrer
extremsten Form die These auf, dass alles, was ein bestimmter Mensch tun oder
fühlen kann, potenziell auch von allen anderen Menschen getan oder gefühlt
werden kann. Anders ausgedrückt könnte zum Beispiel jeder beliebige Mensch
unter bestimmten Umständen (wenn es auch schwer fällt, sich diese Umstände
vorzustellen) der Kommandant eines Todeslagers sein. Ironischerweise sind gute
und warmherzige Menschen am ehesten bereit, sich diese Theorie in ihrer radikalen
Form, die unterstellt, sie könnten in einer extremen Situation zu
Massenmördern werden, zu eigen zu machen. Es wirkt demokratischer und weniger
verdammend (und irgendwie weniger beunruhigend) anzunehmen, dass jeder Mensch
seine Schattenseiten hat, als zu akzeptieren, dass einige wenige Menschen in
ständiger und völliger moralischer Dunkelheit leben. Zuzugeben, dass einige
Menschen buchstäblich kein Gewissen haben, ist formal betrachtet nicht
gleichbedeutend mit der Aussage, dass einige Menschen böse sind - aber es
kommt ihr sehr nahe. Und ein guter Mensch sträubt sich mit Händen und Füßen
dagegen, an die Verkörperung des Bösen zu glauben.
Wenn auch
nicht jeder Mensch der Kommandant eines Todeslagers sein könnte, so sind doch
viele, wenn nicht gar die meisten Menschen fähig, über die grausigen
Aktivitäten einer solchen Person hinwegzusehen, und zwar wegen der
Geschmeidigkeit psychischer Verdrängung, moralischer Ausgrenzung und blinder
Unterordnung unter Autoritäten. Als er einst gefragt wurde, warum wir uns in
unserer Welt nicht sicher fühlen würden, antwortete Albert Einstein: "Die
Welt ist ein gefährlicher Ort - nicht wegen der Menschen, die böse sind,
sondern wegen der Menschen, die nichts dagegen tun."
Um etwas
gegen schamlose Menschen tun zu können, müssen wir sie zuerst erkennen. Wie
können wir also in unserem eigenen Leben die eine Person von (mehr oder
weniger) fünfundzwanzig erkennen, die kein Gewissen hat und eine potenzielle
Gefahr für unseren Besitz und unser Wohlergehen darstellt? Die Entscheidung,
ob jemand vertrauenswürdig ist oder nicht, erfordert für gewöhnlich, dass man
diese Person seit langer Zeit gut kennt. Und wenn es um das Erkennen eines
Soziopathen geht, müsste man ihn länger und besser kennen, als man es zulassen
würde, wenn er eine Markierung auf der Stirn trüge. Dieses schreckliche Dilemma
ist schlicht ein Teil des menschlichen Daseins. Aber selbst, wenn eine gewisse
Vertrautheit besteht, bleibt die
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