Sträflingskarneval
die Baskenmütze tiefer ins Gesicht und lief ohne Umschweife auf die Menschentraube zu, die sich um den Muskelberg gebildet hatte. Seine Freunde wollten ihn noch aufhalten, doch dafür war es bereits zu spät. Ihnen blieb nur die Möglichkeit, sich im Schatten versteckt zu halten und zu hoffen, dass Ryan nichts Unüberlegtes tat und sie somit ans Messer auslieferte.
Dieser jedoch war fest entschlossen seine Rolle als Großmeister zu spielen. Mit der Fackel in der einen Hand und den Fingern der anderen um den Pistolengriff gelegt, blieb er kühn vor den Wärtern stehen. Ein schlaksiger Mann mittleren Alters mit Halbglatze drehte sich um und glotzte ihn perplex an. Er stieß seinen Nachbarn unsanft den Ellbogen in die Rippen, um sie auf die Ankunft des Großmeisters aufmerksam zu machen, und binnen Sekunden hatten sich alle nach ihm umgedreht und starrten ihn verwundert an. Das entging auch nicht dem wütenden Peter Smith, der seinen Vater mit finsterer Miene musterte.
„Was geht hier vor?“, fragte Ryan mit perfekt nachgeahmter Stimme.
„Großmeister? Was macht Ihr hier?“
Diese Frage überging Ryan einfach. „Was ist passiert, Mr. Smith, erzählen Sie. Und Ihr da, wieso steht Ihr noch rum und haltet Maul Affen feil? Ihr werdet nicht zum Rumstehen bezahlt. Los, zurück an die Arbeit.“ Keiner bewegte sich von der Stelle.
„Dieser Fettsack Audley ist ein verdammter Verräter!“, schnaubte der Muskelberg, während er die Hand um den Peitschengriff so fest ballte, dass die Knöchel weiß hervorstachen. „Der Kerl hat mich bewusstlos geschlagen und mich da drüben eingesperrt …“, dabei deutete er mit der Peitsche zu einer offen stehenden Zellentür, „… seitdem ist dieses Aas spurlos verschwunden. Diese Idioten haben die beschissene Tür nicht aufbekommen und mussten erst mal eine Zange suchen, um das Schloss aufzubrechen.“
„Ist ein Gefangener geflohen?“, fragte Ryan entrüstet und sah aus den Augenwinkeln, wie sich die Wärter nur ganz langsam zurückzogen. Sofort improvisierte er weiter und fand überraschend Gefallen an seiner neuen Rolle. „Steht gefälligst nicht so dumm rum und seht nach“, setzte er barsch nach und wedelte empört mit der Fackel herum. „Und wir zwei“, er wandte sich scheinbar wutschnaubend an Smith „müssen dringend miteinander reden. Jetzt!“
Der verschwendete keinen Blick mehr an die Wärter und lud den vermeintlichen Großmeister in die Zelle, aus der er vor Kurzem erst befreit worden war. „Da drin sind wir ungestört.“ Er lief voran und verschwand in der Dunkelheit der Gefängniszelle.
Ryan folgte ihm mit gemischten Gefühlen. Sein Hass stritt mit seiner wachsenden Angst, doch am Ende siegte die Neugier. Wenn Smith glaubte, er wäre sein Vater, dann würde er sicherlich plaudern. Etwas Besseres hätte ihnen gar nicht passieren können.
„Was machst du hier?“, wollte Smith sofort wissen, als sie ungestört waren. „Hast du den Ring etwa gefunden?“ Seine braunen Augen funkelten bei dieser Aussicht begierig auf.
„Ich wollte eigentlich nur nach dem Rechten sehen“, wich Ryan aus. „Aber ich scheine ja gerade rechtzeitig gekommen zu sein. Hat McGrath schon geredet? Und was ist mit seinem missratenen Sohn?“
„Beide schweigen wie ein Grab“, brummte Smith, der darüber ziemlich enttäuscht zu sein schien. „Dieser Audley ist auf jeden Fall ein Spion … genau, wie du gesagt hast. Das kann nur bedeuten, Tavish ist auf dem Weg hierher.“
„Da bin ich mir nicht so sicher“, argwöhnte Ryan absolut überzeugend.
„Warum?“ Smiths Stirn legte sich in Falten. „Du hast doch Audley nur eingestellt, damit er dir Informationen von der alten Schachtel Buckley besorgt. Glaub mir, Tavish und sein nerviges Gefolge ist bestimmt schon auf dem Weg. Wir sollten endlich handeln. Du brauchst doch den Bastard nicht mehr, du hast ja jetzt Lawren.“ Daraufhin machte er eine kurze Pause und schüttelte den Kopf. „Du glaubst doch wohl nicht, Tavish würde sein Sahneschnittchen hier verrotten lassen, oder?“
„Red keinen Unsinn!“ Ryan begann nervös in der Zelle auf und ab zu laufen, um seinen Schock zu verbergen. Hinthrone war gerissen, er hatte versucht, Duncan für sich zu gewinnen, um so an Informationen heranzukommen. Obwohl Ryan immer noch nicht hundertprozentig von Duncans Loyalität gegenüber Ophelia Buckley und dem Orden überzeugt war, glaubte er, dass er diesmal die Wahrheit gesagt hatte. Denn selbst wenn es ein abgesprochener Spielzug im
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