Strafbataillon 999
Lazaretträume. Als die kleine Kolonne aus der Nacht ins Dorf fuhr und knatternd an den ersten zerstörten Häusern vorbeischaukelte, tauchte vor dem ersten Wagen ein kleiner, breitschultriger, krummbeiniger Russe auf und winkte fröhlich grinsend herauf. Er rannte vor der Kolonne her und wies ihr den Weg zu Deutschmann, der mit Handlampen und Batteriescheinwerfern die Scheune einigermaßen beleuchtet hatte.
Kronenberg kletterte durchgefroren aus seinem Wagen und machte einige Kniebeugen, um die steifen Glieder wieder zu durchbluten. Der kleine Russe hob freundlich die Hand.
»Guten Abend«, sagte er.
Kronenberg nickte. »Komm mal her, du krummer Hund! Du bist hier Hiwi?«
»Da.«
»Dann geh mal da hinten zu dem Herrn Stabsarzt und hilf abladen! Verstanden?«
»Da.«
»Hau ab!«
Lächelnd entfernte sich Pjotr Tartuchin und stapfte in seinen dicken Fellstiefeln hinüber zu Dr. Bergen, der die Wagen nahe an die Scheune dirigierte.
Die Begrüßung zwischen Deutschmann und Kronenberg war kurz. Sie klopften sich auf die Schultern und lachten sich an. Deutschmann hatte sich seit zwei Tagen nicht rasiert, sein stoppeliges Gesicht war eisverkrustet und von der Kälte gerötet.
»Wieder einmal umgekippt?« fragte Kronenberg fast ein wenig besorgt. Er griff in seinen zottigen Pelzmantel und holte die obligate Flasche Schnaps heraus.
»Nein. Die russische Luft scheint mir gut zu bekommen.«
»Das kommt davon, weil sie voll von Vitamin E ist«, grinste Kronenberg.
»Wieso?«
»Eisen«, sagte Kronenberg. Beide lachten und tranken.
»Und Krüll, der Schweinehund?«
»Kriecht kaum aus seinem Bau heraus. Alle warten darauf, daß er sich einmal in die Hosen macht.«
»Und die anderen? Bartlitz, Schwanecke, Wiedeck?«
»Bartlitz ist perfekter Koch geworden und die anderen – sie halten die Schinderei mit Schanzen besser aus, als man gedacht hatte.«
»Obermeier?«
»Ein toller Kerl!« sagte Deutschmann begeistert. »Immer vorne an der Straße beim Schanzen. Immer hat er Schnaps und verteilt ihn, obwohl das verboten ist. Ich weiß nicht, was passieren würde, wenn ihm einmal etwas zustößt …«
Auf der dunklen Straße brüllte Dr. Bergen nach Kronenberg. Der Sanitäter wies mit dem Daumen in die Richtung aus der das Gebrüll herüberscholl, grinste spöttisch und trank schnell noch einen Schluck Schnaps: »Da hörst du's selber. Wenn ich nicht da bin, ist der Alte hilflos wie ein Säugling!«
Dr. Bergen stand vor einer Kiste, die Tartuchin hatte hinfallen lassen.
»Schwerr!« sagte der kleine Mongole und hob die Schultern bedauernd hoch. Aus seinen Augenspalten betrachtete er die Verbandspäckchen, die aus der geplatzten Kiste in den Schnee gerollt waren. Verbände, Watte, Zellstoff … und weiß der Teufel, was alles in den anderen Kisten war … Lauter Sachen, die sie im Wald von Gorki gebrauchen könnten. Dort verbanden sie sich mit alten Hemdfetzen und schrien in ihren Erdhöhlen vor Schmerz und Wundfieber.
Kronenberg erschien bei der Gruppe und jagte Tartuchin weg. »Hau ab, das ist nichts für dich!« sagte er laut. Und zu den anderen: »Die Kisten in das Bauernhaus, die Betten und Strohsäcke in die Scheune. Paßt auf beim zweiten Wagen, da ist Glas drin!«
Unter dem Licht der Taschenlampe wurden die Transporter entladen. In dem Bauernhaus wurde ein behelfsmäßiger Operationsraum eingerichtet. Dr. Hansen stellte selbst den zusammenklappbaren Operationstisch auf, half beim Zusammensetzen eines Instrumentenschrankes und richtete das Zimmer so ein, daß leichte und mittlere Operationen vorgenommen werden konnten. An einer Schwebeleitung wurde unter der Decke eine große Lampe montiert, deren Schein den Operationstisch in blendendes Licht hüllte. Die beiden Fenster des Raumes mußten deshalb mit je zwei Decken verdunkelt werden, damit der Lichtschein nicht nach draußen fiel und die leichten russischen Bomber, die ›Nähmaschinen‹, anlockte.
Auf der Straße von Gorki her nahte ein helles Brummen, als die Wagen bereits abgeladen und die Soldaten mit der Inneneinrichtung fast fertig waren. Kronenberg, der mit Deutschmann und Tartuchin vor dem Eingang der Scheune stand, steckte sich in der hohlen Hand eine Zigarette an.
»Was ist das? Ein Schlitten?«
Deutschmann nickte. »Von der zweiten Kompanie. Holz, damit man hier Schränke und Tragen zimmern kann.«
Aus der Nacht schälten sich die Umrisse eines großen Motorschlittens. Wie eine riesige Spinne kroch er durch den Schnee, machte einen Bogen um
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