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Strafbataillon 999

Strafbataillon 999

Titel: Strafbataillon 999 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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neuen Lazarett, trieb sich mit Kronenberg im zerschossenen Dorf herum, untersuchte die Bauernhäuser nach Dingen, die er brauchen könnte – und kam auch zu der kleinen Klitsche, die Tartuchin bewohnte.
    Es war eine dicke Blockhütte mit einer Scheune und einem Ziehbrunnen, dessen Hebebalken halb verfault war. Mit dem Stiefel trat Schwanecke die Tür ein – und sah sich plötzlich Tartuchin gegenüber, der zusammengekauert neben dem Ofen saß und eine Zigarette rauchte. Er rührte sich nicht, als Schwanecke in den niedrigen Raum polterte, dessen Decke er fast mit seiner Pelzmütze berührte. Es war, als hätte der Mongole den Deutschen erwartet. Mit glitzernden Augen sah er ihm entgegen, als er mitten im Raum stehenblieb.
    »Machorka?« fragte Schwanecke.
    »Da.«
    »Mit Prawda?«
    »Njet, nix Prawda. Das hier deutsche Zeitung. Prawda bessär.«
    Schwanecke schlug die Tür mit dem Stiefelabsatz zu, ohne den Blick von Tartuchin zu lassen. »Deutsche Zeitung nix gut, was? Deutsch überhaupt nix gut, was? Deutsche treten euch in den Hintern, was?«
    Tartuchin hob die Hand und lächelte, und es war, als ob aus seinem Lächeln das Geheimnis Asiens Schwanecke angeweht hätte. Er spürte es kalt um sein Herz werden. Der grinst noch, dachte er, der grinst noch, obwohl ich ihn in den Hintern getreten habe! Wie kann er das? Und dann sah er aus Tartuchins Augen plötzlich den tödlichen Haß strahlen: Es war nicht nur der Haß eines russischen Soldaten gegen einen deutschen. Es war nicht nur der Haß eines getretenen Menschen, der seine Heimat liebte, gegen den Mann, der einer Armee angehörte, die sein Land überfallen hatte. Es war vor allem ein ganz persönlicher Haß. Ein tödlicher, unbarmherziger Haß, der nicht eher gelöscht sein würde, bis er, dieser gelbe Mongole, oder er, Schwanecke …
    Schwanecke trat unwillkürlich einen Schritt zurück, winkelte die Arme an und beugte sich vor, als ob er zum Sprung ansetzte.
    »Du verstehst?« fragte Tartuchin.
    »Ja«, sagte Schwanecke.
    Schweigen.
    »Na los!« zischte Schwanecke. »Ich weiß, was du willst.«
    »Nicht so, njet«, sagte Tartuchin. »Jetzt – du wirst mich töten.«
    »Stimmt, ich werde es tun«, sagte Schwanecke.
    Tartuchin lächelte. Sein Gesicht bewahrte sein Lächeln auch später, es wich nicht von ihm, als wäre es in seine Züge gemeißelt worden wie in die Züge alter chinesischer Götzen. »Warum, Briderrchen?« fragte er leise. »Ich bin arm, ich bin müde, ich bin nichts …«
    »Das stimmt! Du bist arm, du bist müde, du bist ein Dreck, aber du bist nicht ein Nichts.«
    Tartuchin erhob sich von seiner Ofenbank. Mit kleinen, fast trippelnden Schritten ging er durch das Zimmer. Schwanecke senkte seine Maschinenpistole. Jetzt, dachte er, jetzt kann ich ihn umlegen. Wenn mich jemand fragt, kann ich sagen, daß er mich angreifen wollte.
    Er sprang von der Ofenbank und stürzte sich auf mich, es war Notwehr, aber es wird keiner fragen, niemand wird's wissen. Einer weniger, einer von den verfluchten Partisanen, ich weiß ganz genau: Er ist einer! Man wird sagen: Gut so, Schwanecke! Sie bewähren sich gut, Schwanecke! Legen Sie noch mehr von diesen Hunden um, Schwanecke!
    Tartuchin war an den Tisch getreten und hielt einen Tabaksbeutel in der Hand. Er reichte ihn Schwanecke. »Warum schießt du nicht?« fragte er.
    Schwanecke schwieg.
    »Tabak?« fragte Tartuchin.
    »Gib her!«
    Bedächtig, ohne den Mongolen aus den Augen zu lassen, rollte sich Schwanecke eine Zigarette. Er leckte das Zeitungspapier an, franste es mit den Zähnen aus und klebte es zusammen. Dann warf er den Beutel zu Tartuchin und wartete, bis auch er sich eine neue Zigarette gerollt hatte. Zwischen ihnen stand der Tisch und wirkte wie eine Barrikade.
    Sie rauchten.
    In der schmutzigen, dunklen Hütte breitete sich Schweigen aus. Trockener, beißender Rauch und der Geruch nach verbranntem Zeitungspapier zog durch den Raum. Warum schieße ich nicht, verflucht, warum schieße ich nicht? – dachte Schwanecke. Wenn ich's jetzt nicht tue, dann wird er es eines Tages tun, und er sieht aus, als ob er treffen könnte. Sicher trifft er immer. Warum schieße ich nicht auf den Hundesohn?
    Doch: Obwohl Schwanecke wußte, daß der Mann gegenüber sein Todfeind war, zu dem es keinen anderen Berührungspunkt gab als den Kampf bis zur Vernichtung des einen oder des anderen – oder beider, obwohl er wußte, daß er von nun an keine ruhige Minute mehr haben würde – in dieser Gegend –, solange dieser

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