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Strafbataillon 999

Strafbataillon 999

Titel: Strafbataillon 999 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die ewige Angst vor dem Sterben. Alles andere war ein Traum, einer von jenen Träumen, die man als Soldat irgendwo in einem dreckigen, kalten Loch oder in einem dunklen, stinkenden Bunker träumte, während draußen der Tod umging. Und wahr blieb der Gedanke an Julia und seine und Julias gemeinsame Vergangenheit, obwohl auch die manchmal in unwirkliche Ferne versank, als hätte es sie nie gegeben, genausowenig wie es diese vergangene Nacht gab.
    Tanja kochte Tee. Sie frühstückten schweigsam, jeder in seine eigenen Gedanken verloren – und doch fühlte Deutschmann – und wußte zugleich, daß auch Tanja dasselbe fühlte, daß sie sich so nah waren, wie es nur zwei Menschen sein können. Und wieder fragte er sich, wie es dazu kam und wie das möglich sein konnte. Vielleicht deswegen, weil es für sie nur Augenblicke in der Gegenwart gab und keinen einzigen in der Zukunft? Vielleicht deswegen, weil sie die Vergangenheit und alle ihre versäumten Stunden und Minuten und die ganze Zukunft in eine einzige Nacht und in den grauen, heraufdämmernden Morgen zu pressen versuchten?
    »Iß, Michael«, sagte Tanja weich und lächelte ihn an, und in ihren einfachen alltäglichen Worten und in ihrem Lächeln verbarg sich eine Welt voll Liebe und bedingungsloser Hingabe.
    Sergej Petrowitsch Denkow stieß die Tür auf und trat in die Hütte, ohne daß sie seine Schritte draußen gehört hatten. Seine Mütze, sein Pelz, seine Augenbrauen waren voll weißen Reifs. Mit der Ferse stieß er die Tür wieder zu und sah wortlos die beiden an. Seine Augen waren weit offen und seltsam leer. Ohne den Blick zu wenden, nahm er seine hohe Fellmütze vom Kopf und warf sie auf einen leeren Stuhl. Dann lächelte er, und Deutschmann überlief es kalt: Es war ein drohendes, verbissenes Lächeln eines Menschen, dem nicht nach Lachen zumute war, und der hinter dem Lächeln irgend etwas verbergen wollte.
    »Guten Tag«, sagte Deutschmann zögernd.
    »Gutten Tagg«, antwortete Sergej. Seine Stimme war leise und heiser. Sein Blick glitt von Deutschmanns Gesicht herab über die Uniform. Keine Rangabzeichen, keine Schulterstücke, keine Waffen. Damals, als die neue Truppe in Orscha ankam, hatte er dies nach Moskau gefunkt, und von dort hatte man geantwortet, daß es sich um ein Strafbataillon handele. Sergej kannte die Strafbataillone in der russischen Armee. Schurken, Mörder, Verbrecher, Feinde des Sozialismus. In der sibirischen Taiga schlugen sie Holz aus den Urwäldern, arbeiteten in Bergwerken – wenn es Frieden war. Im Krieg mußten sie andere Sachen tun, wenn sie stark genug waren, die Strapazen vor dem Sterben zu überstehen.
    Und dann sah er Tanja an. In ihrem blassen Gesicht brannten die Augen. Er verstand, was sie sagten. Er sah die schwarzen Schatten unter ihnen, und sein Lächeln versteifte sich zu einer drohenden Maske. Er brauchte nicht zu fragen. Er wußte, was geschehen war. Er wußte es genau …
    Tanja stand auf. »Das ist Sergej«, sagte sie mit kleiner, gebrochener Stimme. »Ein Bauer aus Babinitschi.« Und zu Sergej gewandt laut und deutlich: »Das ist Michael.«
    Sergej sah sie einige Sekunden schweigend an und sagte dann mit einer gewöhnlichen und gerade deswegen um so kälter und verachtungsvoller wirkenden Stimme auf russisch – ohne zu wissen, daß es Deutschmann verstand: »Hündin!«
    Dann drehte er sich um und trat zur Tür.
    Deutschmann sprang auf. Die Lähmung, die ihn beim Anblick des jungen fremden Mannes befallen hatte, wich von ihm. »Halt«, sagte er. Jetzt hatte er nur noch wenig Ähnlichkeit mit dem weichen, unentschlossenen und hilflos wirkenden Deutschmann von früher. Langsam ging er um den Tisch und stellte sich vor Sergej, der sich umgedreht hatte und ihn kalt ansah.
    »Warum?«
    »Wer bist du?« fragte Deutschmann.
    Sergej lächelte. »Warum?« fragte er wieder.
    »Wo lebst du?«
    »Im Wald«, sagte Sergej langsam.
    »Ich habe es gewußt«, sagte Deutschmann leise.
    »Was?«
    »Du bist …«
    »Was?«
    Sie sahen sich einige Sekunden wortlos an, und dann nickte Sergej. »Da. Ein Partisan.«
    Deutschmann hörte hinter sich Tanja leise aufschreien. Aber er wandte sich nicht um. Er sah in Sergejs harte Augen. Wie war es möglich, daß er, dieser Russe, sich nicht scheute, ihm, dem deutschen Soldaten, zu sagen, er sei ein Partisan? Was wurde hier gespielt? Und das mitten unter deutschen Truppen – oder war es nicht so? War er, Deutschmann, in eine Falle geraten? Warteten draußen noch mehr von dieser Sorte auf

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