Strafbataillon 999
ein Zeichen? Aber das war völlig ausgeschlossen – vom Dnjepr her hörte er die Pioniere sprengen. Der Morgen graute, auf den Straßen und auf der Brücke erwachte das Leben. Nachschubkolonnen polterten dumpf über die Holzbohlen – überall wimmelte es von deutschen Soldaten. Und doch stand hier ein Partisan und bekannte sich furchtlos dazu.
»Ein Offizier«, sagte Sergej. Und dann, nach einer Weile, als Deutschmann nichts erwiderte, sprach er in einem fast fehlerfreien Deutsch weiter:
»Ich wollte Tanja besuchen, meine Braut. Aber die reine Jungfrau von früher ist eine Hündin geworden. Sie läßt sich mit einem verfluchten Feind ein, während ich kämpfe.« Seine Stimme klang leidenschaftslos, so als erzählte er eine ganz belanglose Geschichte. Dann drehte er sich wieder zu Tanja und zischte, doch jetzt auf russisch: »Hure«.
Später konnte sich Deutschmann nicht erklären, was ihn dazu getrieben hatte. Bis dahin hatte er es noch nie getan, nicht einmal als Junge. Aber jetzt hob er die Hand und schlug Sergej ins Gesicht. Mit der flachen Hand, weitausholend, klatschend. Sergej wich nicht zurück. Er rührte sich nicht. Er nahm die Schläge hin, und was das Schrecklichste daran war, er zählte sie mit einer harten, leidenschaftslosen Stimme: »Eins – zwei – drei – vier – fünf –.«
»Sechs«, schrie Deutschmann, und schlug noch einmal zu.
Sergej nickte. »Sechs. Für jeden Schlag ein deutscher Soldat.«
Deutschmann trat zurück, und wieder überfiel ihn das Gefühl der Unwirklichkeit. Tanja stand neben der Wand, das Gesicht hatte sie gegen die Mauer gelegt, ihr schmaler Rücken zuckte. Sie weinte. Deutschmann blickte wieder zu Sergej, der langsam zu sprechen begann:
»Ich hasse sie. Sie ist keinen Tritt wert. Sie trägt jetzt fremdes Blut in sich und du – du wirst mich jetzt gehen lassen. Ich weiß genau, was du denkst. Aber du wirst es nicht tun. Du wirst mich nicht den Gendarmen übergeben. Du hast Angst. Was tust du hier bei einer Russin, bei einer Partisanin? Du bist ein Mann aus dem Strafbataillon. Auch du bist ein Verräter!«
Dann drehte er sich um, nahm seine Mütze und ging.
»Ich muß jetzt gehen«, sagte Deutschmann etwas später und versuchte, sich aus Tanjas Umarmung zu lösen. »Ich komme wieder«, flüsterte er, »ganz sicher, ich komme wieder.«
»Ich habe Angst!«
»Ich weiß – was soll ich tun?«
»Du kannst nichts tun.«
»Ich komme wieder«, sagte Deutschmann und kam sich sehr erbärmlich vor. Sicher, er konnte nichts für sie tun, und dennoch … Sie war nun schutzlos der Rache ihrer Landsleute ausgeliefert. »Es wird alles gut werden«, flüsterte er und wußte, daß er log. Nichts würde gut werden. Es gab nichts Gutes mehr für sie. Die Nacht, die hinter ihnen lag, hatte einen Abgrund vor ihnen geöffnet, in dem Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit der kommenden Tage lauerten.
Er ging.
Zuerst langsam und dann immer schneller stapfte er über den Hang gegen die Stadt, wo ihn der Fahrer mit dem beladenen Schlitten erwartete. Er hatte sich schon verspätet. Die Posten an der Brückenauffahrt pendelten hin und her, ein Feldwebel der Feldgendarmerie schrie mit einem Lkw-Fahrer herum, der mitten auf der Straße einen Achsenbruch hatte und den ganzen Nachschubverkehr aufhielt. Dann lief er durch die engen, nun belebten Straßen der Stadt, die Hütte, Tanja und Sergej blieben hinter ihm und vor ihm ein neuer Tag im Strafbataillon.
Sergej Petrowitsch Denkow hatte hinter einem Lattenzaun gewartet, bis er Deutschmann weggehen sah. Dann ging er langsam zu Tanjas Hütte.
Tanja stand immer noch mitten im Zimmer. Als sie Sergej sah, hob sie die Hände erschrocken zum Mund und machte einen schnellen Schritt gegen den Herd – zur Wandvertiefung, in der sie die Pistole versteckt hatte.
»Laß sie liegen«, sagte er. »Ich müßte dich töten, wenn du sie herausnimmst.«
»Was willst du?« flüsterte Tanja.
»Das fragst du noch?«
»Was willst du tun – geh! Geh!« Die letzten Worte schrie sie voll tödlicher Angst vor dem großen, in seinen unförmigen Pelz gehüllten Mann, der sie mit einer kalten, drohenden Überlegenheit ansah.
»Ich gehe«, sagte er, »ich werde nicht wiederkommen – bis wir die Deutschen verjagt haben. Aber dann, wenn wir sie hinausgejagt haben, werde ich wiederkommen und dich töten. Das wollte ich dir sagen. Du wirst mir nicht entkommen. Versuche nicht zu fliehen. Es würde dir nichts nützen. Wir werden aufpassen. Und wenn ich dich getötet
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