Strafzeit
es ihm erspart geblieben war, während eines Mordes direkt neben dem Opfer zu sitzen. Schon jetzt nahm ihn der Fall genügend mit. Man musste sich nur mal vorstellen, Ziegler hätte sich während des Schusses im falschen Moment zur Seite gebeugt – dann wäre nun der tot, und man würde in seinem Bekanntenkreis nach einem Motiv suchen …
Hummel schüttelte die Gedanken ab und versuchte sich zu strukturieren.
Noch schnell zum Obst- und Gemüsestand, ehe er womöglich noch einmal Elke und ihrem Rechtsverdreher begegnete.
Um das zu vermeiden, suchte sich Hubertus diesmal einen anderen Händler aus. »Adolf Schmittler, Dauchingen« klärte das Schild an einem Stand ganz hinten auf dem Wochenmarkt auf.
»Habet Sie scho g’hört? In Schwenninge isch geschtern en Mord beim Eishockei passiert«, begrüßte ihn der Markthändler mit unverkennbar schwäbischem Einschlag.
Hubertus knurrte nur, was Schmittler indes nicht vom Weiterreden abhielt.
»Wisset Se, ’s wird ja viel verzellt«, meinte der.
»Und was?«, schnaubte Hummel.
»Der Ma’ soll jo im Dings … im Milieu verkehrt honn.«
»In welchem Milieu denn?«, fragte Hubertus nun schon etwas neugieriger.
»I han en jo nit kennt. Aber Sie wisset, die Kunde schwätze halt.«
»Was für ein Milieu meinen Sie?«, insistierte Hummel.
»Ha, im … Sie wisset scho …«
»Etwa im Schwulenmilieu?« Hubertus sprach nun so laut, dass andere Kunden ihn entsetzt anschauten.
Schmittler errötete. »Ha, noi. In de Rotlichtbars«, erläuterte er.
Hubertus schüttelte den Kopf, nahm seine Einkäufe und machte sich auf den Weg zurück in die Südstadt. Entweder war Mielke wirklich der unbestrittene Casanova der Doppelstadt gewesen, oder die Leute tratschten einfach zu viel.
Zwar begegnete er Elke und ihrem Bröse nicht noch einmal, dafür zog er wenige Marktstände weiter die nach seinem Empfinden zweitgrößte mögliche Niete: Regine Pergel und ihr Ehemann Klaus-Dieter Pergel-Bülow teilten nicht nur Hummels Beruf und Arbeitsplatz, sondern auch die linke Hecke von Hubertus’ Grundstück. Die Nachbarn – sie unterrichtete Französisch und Latein, er gab evangelische Religion und leitete die Spanisch-AG der Schule – waren so engagiert, so gut und so politisch korrekt, dass Hummel schon aus Prinzip am liebsten den reaktionären Spießbürger herauskehrte.
Also wieder kontrollierte Aggressivität?
Mittlerweile hatte er nicht einmal dazu Lust.
»Kollege, haben Sie schon gehört?«, sagten die beiden aufgeregt und beinahe synchron. »Sehr betroffen« seien sie, und außerdem. Dass manche Menschen überhaupt eine Schusswaffe anfassen könnten, meinte Pergel-Bülow. Ihm selbst stünden ja die Haare zu Berge, wenn nur ein Gewehr im Fernseher auftauche.
Bekanntermaßen sehe er ja so gut wie nie fern, sondern lese lieber Bücher. Aber neulich habe es auf Arte eine Dokumentation …
Hubertus winkte ab und ließ die beiden stehen. Er wollte nachdenken.
6. NICHTS GEHT MEHR
»Papa, ich will mit«, quengelte Martina, während Hubertus sich die Krawatte umband. Das gute Stück hatte ihm Elke zum vierzigsten Geburtstag geschenkt, handbepinselt, in Seidenmalerei. Der Kurs in der Volkshochschule war also nicht völlig vergeblich gewesen.
Es machte ihn beinahe krank, dass er immer wieder an Elke erinnert wurde.
Für seine schlechte Laune musste nun Martina büßen: »Schlimm genug, dass sie dich ins Bistro lassen. Aber ins Casino kommst du definitiv nicht – noch nicht einmal auf eine Cola an die Bar. Einundzwanzig ist die Altersgrenze. Ohne Ausnahme!«
Und überhaupt: Nur weil Martina sich heute Abend mehrere Absagen eingefangen hatte, wollte sie jetzt plötzlich auf Vater-Tochter-Abend machen. Das kam ihm gerade recht.
»Schönen Abend vor dem Fernseher, mein Schatz«, meinte Hubertus und schlug die Haustür hinter sich zu.
Eine Trumpfkarte hatte er noch. Er schloss wieder auf. »Wenn ich schon nicht da bin: Heute kannst du ja ein letztes Mal ins Bistro gehen.«
Klaus wartete schon an der Gartentür. »Soll ich dich ins Auto tragen? Deine Bügelfalten leiden doch unter jedem Meter Fußmarsch.«
Er trug ein zitronengelbes Sakko, mit dem er schon beim letzten Sportlerball seiner Zeitung Aufsehen erregt hatte.
Dann gab er Gas.
Klaus Riesle tat wieder mal so, als ginge es um den Gewinn der Trossinger Stockcar-Meisterschaften. Über zehn Jahre hatte er vergeblich versucht, mit seinem alten Ford die begehrte Trophäe zu holen.
Wie damals holte er auch jetzt alles
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