Strafzeit
schüttelte den Kopf. »Marian war in Konstanz. Wie Suney und Mukmin ist er Stammgast im Casino. Schließlich muss er auf die beiden ein Auge haben. Sucht woanders weiter und beehrt uns bald wieder. Dann aber bitte als Kunden – und am besten in anderer Kleidung. Denn wir legen durchaus Wert auf ein gepflegtes Erscheinungsbild.«
Er widmete sich wieder seinen Geschäften.
Marian eskortierte – immer noch, ohne ein Wort zu sagen – die beiden wieder hinaus.
Kurz darauf standen sie wieder bei Riesles Auto. Hubertus war zufrieden. Immerhin hatte ihn niemand erkannt.
Klaus schien noch zufriedener. »Hast du den Typen in der Ecke gesehen, als uns diese Tussi angequatscht hat? Schulz. Der Schwenninger Stadtrat Schulz. Das behalte ich im Hinterkopf. Vielleicht hau ich dem das mal in einer Kolumne um die Ohren.«
Allerdings war man in der Sache Mielke nicht wirklich weitergekommen.
Wie immer in solchen Fällen waren sich die beiden Freunde einig.
»Lass uns im Bistro die Lage besprechen.«
12. WANDERSTIEFEL UND KUTTE
Hauptkommissar Winterhalter arbeitete im Gegensatz zu Hummel und Riesle am liebsten alleine. Nicht nur im Stall bei seinen Tieren und auf dem Feld war das so. Der Nebenerwerbslandwirt war felsenfest davon überzeugt: Seine Wurst, sein Fleisch und seine Milch schmeckten nur so gut, weil er allein Hand anlegte und keinen anderen Metzger oder gar einen Schlachthof daran werkeln ließ. EU-Richtlinie hin oder her. »Vom kleine Kälble bis zum Schlachte« lautete sein Motto als Viehzüchter.
Auch bei der Kripoarbeit hatte er gelegentlich das Gefühl, allein die besten Resultate zu erzielen. Dabei war Winterhalter durchaus fähig zu Teamwork. Und mit dem Kollegen Müller verstand er sich meist ganz gut. Allerdings hatten sie gelegentlich unterschiedliche kriminalistische Auffassungen. Für Müller zählten nur die Fakten: Alibis, Spurenträger, Beweismittel. Auch für Winterhalter spielten diese Dinge natürlich eine Rolle – andernfalls wäre er wohl kaum bei der Kripo gelandet. Aber mindestens genauso wichtig war ihm Menschenkenntnis. Er glaubte, diese von seiner verstorbenen Großmutter Elisabeth geerbt zu haben. Eine ausgezeichnete Beobachtungsgabe und eine innere Gelassenheit waren seines Erachtens die Grundlage dafür. Bei Großmutter Liesel hatte diese vermutlich aus der tiefen Frömmigkeit hergerührt, von der auch Winterhalter noch einiges mitbekommen hatte.
Selten hatte sich der Hauptkommissar in seinem Leben in Menschen getäuscht. Seine Frau war dafür das beste Beispiel. In den siebenundzwanzig Ehejahren hatte er keinen Augenblick lang sein Jawort bereut. Im Gegensatz zu manchem Kollegen und dessen verkrüppelten Beziehungen stellte sich die Frage Winterhalter gar nicht. Magda war ein Teil von ihm – so etwas wie ein gut funktionierendes Organ. Und das tauschte nur ein Lebensmüder aus.
Auch was die Ehefrau des ermordeten Mielke anbelangte, war Winterhalter überzeugt, sich ein treffendes Urteil über sie gebildet zu haben: Er glaubte an ihre Unschuld. »Die hät kei Dreck am Stecke – zumindescht keinen tödliche«, hatte er dem diesbezüglich skeptischen Müller erklärt.
Gut, die Ehe war ziemlich sicher am Ende gewesen, und dass Frau Mielke nicht damit herausrücken wollte, wer bei ihr am besagten Mordabend im Haus gewesen und durch den verschneiten Garten geflüchtet war, schien vordergründig verdächtig.
Aber eine Mörderin? Nein.
Er würde das mit dem unbekannten Gast schon noch herausfinden – und sei es in einem Vieraugengespräch. Man musste sich eben auf das Gegenüber einlassen, wenn man etwas wollte. Dies betraf einen Menschen ebenso wie ein Tier. Brachte man Einfühlungsvermögen auf, wurde man belohnt. Im einen Fall mit einem Geständnis oder einem Motiv, im anderen Fall mit Milch.
Müller fehlten diese Sensibilität und die Menschenkenntnis.
Der Kollege war eben ein Kripotechnokrat, der mehr Wert auf Kleidung als auf die Zwischentöne legte. So verstand er auch nicht, dass es hierzulande für einen Kriminalbeamten im Dienst kein Zeichen von Rückständigkeit war, Dialekt zu sprechen, sondern dass man nur so in der Mitte der Gesellschaft ankam.
Winterhalters Menschenkenntnis funktionierte meist auch bei Leuten, die er gar nicht persönlich gekannt hatte. Besonders bei einem Mordopfer war dies von Vorteil, denn da musste man ja retrospektiv ein fundiertes Bild von dem Menschen entwerfen. Häufig war dies auch der Schlüssel zum Erfolg bei der Ermittlung des
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