Strandgefluester
Shorts – das T-Shirt steckt zum Teil in der Gesäßtasche - und sein nackter Oberkörper ist genau so, wie ich es mag. Weder zu muskulös noch zu schmächtig. Gesundes Mittelmaß, nach dem ich am Liebsten meine Finger ausstrecken würde … plötzlich bleibt mein Blick an dem Tattoo hängen, das er auf dem Oberarm trägt. Eingerahmt in sich windende Linien steht dort Stefan. Die Frage liegt mir auf der Zunge und doch schlucke ich sie herunter. Stelle stattdessen eine andere.
„Wo kommst du ursprünglich her? Ich meine, du hörst dich so deutsch an, wie ich, dein Name aber nicht. Und Eltern zu haben, die mit einem in diesem Paradies Urlaub machen – davon hätte ich nicht mal zu träumen gewagt.“
„Mein Vater ist Kanadier. Die ersten vierzehn Jahre meines Lebens verbrachte ich dort. Meine Mutter stammt aus Deutschland, weshalb ich von Anfang an auch Deutsch lernte. Wir sind jedes Jahr hergeflogen …“, er stockte.
„Du musst mir das nicht erzählen. Entschuldige, falls ich zu neugierig war.“
„Nein, ist schon okay. Kommst du mit rauf an die Bar?“
Ich zucke mit den Schultern und folge ihm zur Strandbar. Die Liegen am Strand leeren sich in der Geschwindigkeit, die die Sonne in Richtung Horizont strebt. Der junge Mann an der Bar tanzt und singt das Lied mit, das gerade gespielt wird. Seine Freude wirkt ansteckend und unfassbar. Er ist mit einer Fröhlichkeit am Werkeln, die wohl einigen ein Kopfschütteln entlocken würde. Wie kann man bei der Arbeit nur so gut gelaunt sein? Ich finde es klasse und bitte um einen Cuba Libre. Kyle folgt meinem Beispiel und deutet zu einem freien Tisch.
Wir sitzen uns gegenüber in der untergehenden Sonne. Schweigen liegt zwischen uns, doch es ist nicht unangenehm. Das Meer rauscht, Salzaklänge schallen durch die Luft. Die Stimmen der anderen Gäste, der Geruch des Abendessens und Kyle, der mich mit einem Blick betrachtet, den ich nicht deuten kann. Noch ehe ich meine Zunge im Zaum halten kann, rutscht mir die Frage heraus, die ich eigentlich nicht stellen wollte: „Was hat es mit dem Tattoo auf sich?“
Er lächelt gequält und streicht über seinen Oberarm. „Stefan … er war mein Lebensgefährte. Zwei Jahre waren wir ein Paar, bis er mit seiner Maschine verunglückt ist.“
„Das tut mir leid … ich wollte nicht …“ Mann, ist mir das unangenehm!
„Das konntest du ja nicht wissen. Es ist jetzt ein Jahr her – es ist also nicht so, als würdest du mit der Frage in einer frischen Wunde stochern.“
Mir fehlen die Worte. Nicht nur, dass er mir diesen Verlust eingestanden hat – zugleich hat er damit geäußert, dass er schwul ist. Ich betrachte ihn, und etwas muss in meinem Blick liegen, denn er zieht grübelnd die Brauen zusammen.
„Hast du ein Problem?“, fragt er und klingt hart.
„Nein. Ganz und gar nicht. Ich hätte nur nicht gedacht …“ Ich senke den Blick, denn ich kann seinem nicht standhalten. Zu bohrend, als würde er in mich hinein sehen.
Plötzlich beugt er sich über die Tischplatte zu mir.
„Was hättest du nicht gedacht?“, hakt er leise nach. Leichte Belustigung ist herauszuhören.
„Dass du auch schwul bist“, erwidere ich und sehe ihn wieder an.
Ich kann seinen Ausdruck nicht deuten und flüchte aus der Situation, indem ich den Becher Cuba Libre leere. Eigentlich einen Tick zu schnell, aber das ist mir im Moment egal.
„Willst du was essen?“, erkundigt sich Kyle.
„Nein, ich habe noch keinen Hunger. Vielleicht später.“
Ich spüre, dass da etwas entsteht, da liegt etwas zwischen uns, das ich nicht abstreiten kann. Ob er es auch spürt, weiß ich nicht.
„Okay. Es ist ja noch früh. Kommst du mit?“, fragt er und steht auf.
„Wohin?“
Er zeigt mit dem Daumen zum Wasser und wendet sich dann dem tanzenden Barkeeper der Strandbar zu. Da ich nichts anderes vorhabe, stimme ich Kyles Frage zu und trete neben ihn. Er bekommt gerade zwei Becher des braunen Getränks hingestellt, wovon er einem mir hinhält.
„Danke.“
Er nickt nur und läuft Richtung Meer. Bei jedem Schritt kann ich das Spiel der Rückenmuskulatur bewundern und seine Shorts lassen vermuten, dass unter dem Stoff ein strammer Hintern verborgen liegt …
Ich rufe meine Gedanken zur Ordnung, denn sie wollen sich in eine Richtung aufmachen, die mir nicht behagt – noch nicht.
Kyle setzt sich unweit der Wellen in den Sand, blickt aufs Meer hinaus und nimmt einen Schluck vom Cola-Rum. Als ich mich neben ihm niederlasse, darauf bedacht, ihm
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