Strandglut 27 Short(s) Stories
mir hinterlassen hat, vermache ich der zum Zeitpunkt meines Todes tätigen Hauswirtschafterin. Dies geschieht vor allem, um diese von ihm geliebten Gegenstände nicht in die Hände der Kinder meiner Schwester kommen zu lassen, die er Zeit seines Lebens verabscheute. Dr. Pratt zeigte auf einen kleinen Stapel auf seinem Schreibtisch und fuhr fort: „Als da wären: Wilfrieds über zweihundert Jahre alte Bibel, seine vom Großvater geerbte Taschenuhr und seine goldenen Manschettenknöpfe, die er zur Erstkommunion geschenkt bekommen hatte.“ Verena war die Hitze ins Gesicht gestiegen. Aber die Röte in ihrem Gesicht vertiefte sich, als Dr. Pratt weiterlas. „Für den Fall meines unnatürlichen Ablebens enterbe ich hiermit alle meine noch lebenden Verwandten und hinterlasse mein gesamtes Vermögen demjenigen, der meinen oder meine Mörder überführt, im Zweifelsfall der Polizei. Mögen sie sich davon viele neue Funkwagen oder Laborgeräte kaufen.“ Der Polizist in der Ecke grinste. Die Verwandtschaft fing an, sich gegenseitig zu beschuldigen, alles schrie durcheinander. Verena stand auf und trat an Dr. Pratts Schreibtisch. „Darf ich?“, fragte sie und zeigte auf die Bibel.
Verena besah sie sich und ging damit zu dem Polizisten. „Wissen Sie“, sagte sie in den Tumult, „das Lesezeichen war immer im Alten Testament, beim 118. Psalm ‚Danket dem Herrn’. Das war das Letzte, was ihr Mann gelesen hat, das kann der Hausarzt bestätigen. Adele hat jedem die Geschichte von ihrem Tassenuntersetzter erzählt. Bitte schauen Sie nach, wo das Goldband jetzt ist“.
Der Polizist schlug die Bibel auf. „Evangelium, Markus, 16. Kapitel, Vers 1 bis 5“, las er vor.
„Sehen Sie, das ist das Neue Testament. Würden Sie uns sagen, worum es da geht?“
Der Polizist las und fasste zusammen: Es geht um die Auferstehung Jesu. Maria Magdalena findet das leere Grab.“
Verena drehte sich um und zeigte mit dem Finger auf Lena.
„Da haben Sie ihre Mörderin, Lena ist die Abkürzung ihres Vornamens Magdalena. Adele konnte wegen ihrer Gicht nicht mehr schreiben. Und sie war auch nicht sofort tot. Sie hat mit dem Lesezeichen in der Bibel ein Zeichen gesetzt. Fragen Sie, ob im Pflegeheim von Detlefs Vater Insulin fehlt.“
„Die ist ja verrückt“, schrie Lena, stand auf und wollte flüchten. Der Polizist war schneller.
„Ich verhafte Sie wegen Mordes an Adele Ott.“
Morgenflieger
Riesenstau auf der Stadtautobahn, die Rudolph-Wissel-Brücke ist wegen eines Unfalls in beide Richtungen gesperrt. Dank eines pfiffigen Taxifahrers hat Renate es trotzdem pünktlich zum Flughafen Berlin-Tegel geschafft.
„Die Passagiere des Air France-Fluges 3460 nach Paris werden gebeten, sich zu Gate 11 zu begeben.“ Die Stimme, die da aus dem Lautsprecher quillt, gibt sich offensichtlich Mühe, trotz des frühen Morgens rau und sexy zu klingen. Die Bodenstewardess der Lufthansa gibt sich weniger Mühe. Sie schwatzt mit ihrer Kollegin. „Tschuldigung, wenn ich störe, aber der Automat ist kaputt.“
Die Schwätzerin schaut Renate verärgert an. „Dafür kann ich nichts“, sagt sie.
„Nö, aber meine Bordkarte können sie mir geben, bitte.“ Renate kann das bitte so betonen, dass es sich wie ein Befehl anhört. Das wirkt immer.
Der Sturm fegt den Regen an die Scheiben vor Gate 5, Taxis spucken Männer in grauen Anzügen, grauen Mänteln und grauen Gesichtern aus. Die Schlange hinter Renate wird länger.
„Last call for Mr. Lennon, Mr. Lennon, please...“ Renate reißt der Stewardess die Bordkarte aus der Hand und begibt sich zur Leibesvisitation.
„Eigentlich schön, so eine Massage am frühen Morgen,“ sagt sie zur Lady vom Wachschutz. Die kann noch nicht lächeln. Renate schnappt sich eine Zeitung, lässt sich in einen der harten Stühle fallen. ‚Herrgott, wann wird hier endlich gebordet? ‘
Renate ist müde, aber sie weiß, wenn sie jetzt auch nur ein Auge ein ganz kleines bisschen zumacht, dann wird sie einschlafen und den Flieger verpassen. Also versteckt sie sich hinter der Zeitung. Sie hasst es, angegafft zu werden. „Flugzeugabsturz über London“ titelt der Tagesspiegel. ‚Oh nein, bitte, ich will jetzt nichts von Flugzeugunglücken lesen‘, denkt Renate. ‚Lieber den Wirtschaftsteil.‘
„Guten Tag meine Damen und Herren, Flug 2459 nach Köln/Bonn ist jetzt zum Einsteigen bereit. Wir bitten die Passagiere der Zonen drei und vier zuerst zum Ausgang.“ Endlich ist auch die fünf dran und Renate rafft ihre
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