Strandglut 27 Short(s) Stories
unserem Bestattungsunternehmer Friedrich nicht befreundet sind. Seit dreißig Jahren treffen sie sich doch jeden Donnerstagabend in der „Traube“ zu mehreren Schöppchen Wein.
„In einer Kleinstadt entgeht wohl niemandem etwas“, sagte Dr. Daniel und grinste schuldbewusst.
„Also rufen Sie jetzt Ihren Freund Friedrich an und arrangieren sie eine Blutprobe und eine Untersuchung.“
„Aber das müssen die Angehörigen anordnen.“
„Dr. Daniel, wenn Ihnen Zweifel an ihrer eigenen Diagnose kommen, muss niemand etwas anordnen, oder?“
„Sie sind eine Nervensäge, liebste Frau Lehmann. Die Spritze kann ich wohl wieder einstecken, sie stehen nicht unter Schock sondern leiden an Verfolgungswahn.“
„Liebster Doktor, Sie sollten jetzt wirklich zu Herrn Friedrich fahren. Was glauben Sie, wie sich das Bestattungsunternehmen Berghausen freut, wenn es einen Hinweis bekommt, dass sie seit Jahren ihrem Freund Friedrich die Kundschaft zuschieben. Nicht ganz umsonst, würde ich mal vermuten.“
Dr. Daniels war blass geworden. Er erhob sich und schüttelte den Kopf. „Und ich habe sie immer für eine nette, patente Person gehalten“, sagte er. „Eben“, sagte Verena und geleitete ihn zur Tür. Nachdem er gegangen war, rief sie im Hause Ott an, um ihr Beileid auszudrücken. Man kam nicht umhin, sie zur Beerdigung einzuladen.
„Jetzt muss ich nur noch den Mörder überführen“, dachte Verena. Aber sie war sich sicher, dass Adele ihr dabei helfen würde. Es war kurz vor sechs Uhr als ihr Telefon klingelte. „Sie hatten Recht, Frau Lehmann“, sagte Dr. Daniels kurzatmig. „Frau Ott hat tatsächlich einen Einstich am Arm. Ich habe eine Blutprobe genommen und die Polizei verständigt.“
Und so standen am nächsten Morgen nicht nur die trauernden Familienmitglieder zusammen mit Verena am Grab von Adele, sondern außer Dr. Daniels und Dr. Pratt, dem Notar, auch zwei Polizisten. Beim anschließenden Leichenschmaus im Hause der Otts, gelang es Verena nicht, in Adeles Wohnung zu gelangen. Die Polizei hatte sie vorsorglich abgesperrt. Die Familie war außer sich. Wer denn solche blödsinnigen Gerüchte in die Welt gesetzt hätte. Was denn das alles überhaupt solle. Als die Familienmitglieder einzeln vernommen wurden, schickte man Verena nach Hause. Der Notar sagte, dass selbst, wenn jemand nachgeholfen hätte, man kaum nachweisen könne, wer aus der Familie die gute Tante Adi heimgeschickt hätte. Schließlich waren alle möglichen Verdächtigten abwechselnd in ihrem Zimmer gewesen und hätten reale und genetische Fingerabdrücke hinterlassen. „Eine Krähe hackt der anderen nicht die Augen aus!“ Verena überlegte krampfhaft, wie sie in Adis Zimmer kommen könnte, aber sie war angesichts des Notars, der Polizei und der keifenden Familienangehörigen machtlos.
Es vergingen zwei für Verena zermürbende Wochen, die sie mit der Suche nach einer neuen Arbeitsstelle und Grübeln verbrachte. Doch dann schien alles gleichzeitig zu passieren. Sie erhielt Besuch von der Polizei, die sie nach den Gewohnheiten von Adele befragte. Die Lokalzeitung machte auf mit dem Bericht: Mord an einer alten Dame . Die Blutuntersuchung hatte tatsächlich eine hohe Insulinkonzentration in Adis Blut gefunden. Und sie erhielt einen Brief von Dr. Pratt, der sie zur Testamentseröffnung in seine Kanzlei bat. Verena kaufte sich zu diesem Anlass ein neues, rosafarbenes Kostüm. Peter und Marion saßen auf der einen Seite des antiken Schreibtischs, Lena und Detlef auf der anderen Seite, Verena wurde ein Platz in der Mitte angeboten. Hinten im Raum stand ein Zivilbeamter neben der Tür, der die Szenerie beobachtete. Dr. Pratt öffnete feierlich einen vergilbten Umschlag. Er begrüßte die Anwesenden und sagte, dass es ihm Leid täte, ein 19 Jahre altes Testament verlesen zu müssen, insbesondere da er gewusst habe, dass die Verstorbene ihr Ansinnen geändert habe und eine Testamentsänderung zu Gunsten von Verena Lehmann bevorgestanden habe. Nunmehr ginge das gesamte, nicht unbeträchtliche Vermögen von Adele Ott zu gleichen Teilen auf ihren Neffen Peter und ihre Nichte Lena über. Sie, verehrte Frau Lehmann, sind in diesem Testament nicht namentlich erwähnt, da sie zum Zeitpunkt der Testamentserstellung ja erst kurz im Haus Ott tätig waren. Allerdings hat Frau Ott ihrer nicht namentlich genannten Hausangestellten zum Zeitpunkt ihres Todes ein kleines Legat ausgesetzt. Ich zitieren: Alle persönlichen Gegenstände, die mein Ehemann Wilfried
Weitere Kostenlose Bücher