Strange Angels: Verraten: Roman (PAN) (German Edition)
Regentropfen verschleierten die Fenster der Pizzeria, hinter denen sich Schatten bewegten wie Seegras unter Wasser.
»Ich …« Mir fehlten die Worte.
»Ich habe nämlich nachgedacht. Du hattest deine Tasche und drei Pullis bei dir. Du wolltest weg.«
Oh Gott! Ich öffnete meinen Mund und schloss ihn wieder.
»Hör mal, eigentlich würde mich das sauer machen. Aber ich glaube, du hast gedacht, dass du mir hilfst, indem du mich an einem Ort zurücklässt, von dem du meinst, ich wäre da sicherer als du. Stimmt’s?«
Mein Kopf sackte nach unten, und ich richtete ihn wieder auf. Hing meine Kinnlade wirklich herunter?
»Mach das nicht!« Als er sich näher zu mir beugte, war der Rest der Welt ausgeblendet. »Okay? Lass mich nicht zurück!«
»Die wollen mich umbringen«, flüsterte ich. »Du kapierst das nicht. Es ist echt. Es …«
»Was denkst du denn, was ich an der Schule gemacht habe? Rumgealbert und Däumchen gedreht?« Vor Verärgerung wurde sein Flüstern zu einem Zischen. »Mit mir steigt deine Überlebenschance, Dru. Mach keine Dummheiten mehr! Falls etwas passiert, heißt es: du und ich gegen den Rest der Welt. Verstanden?«
Dibs rettete mich, indem er an den Tisch zurückkam. »Die Getränke holt man sich selbst«, klärte er uns auf und stellte einen Stapel roter Plastikbecher auf den Tisch. »Ich glaube, das ist der einzige Laden in drei Staaten, wo sie Mr. Pibb haben. Klasse, hä?«
»Und wie!« Graves drückte meine Hand unter dem Tisch noch einmal, rutschte von der Bank und griff sich zwei Becher. »Was nimmst du, Dru?«
»Ähm. Cola. Pepsi. Egal.«
»Nicht light?«, fragte Dibs.
»Das ist ’n Scherz, oder?« Graves knuffte ihn mit der Schulter, allerdings nicht grob. »Der Mist bringt einen um. Bin gleich wieder da.«
Abends aßen wir in einer anderen komischen Kleinstadt, und es dämmerte, als Christophe endlich einen Freeway fand, der ihm zusagte. »Im Wagen wird nicht geraucht«, mahnte er zum fünfzehnten Mal.
Ich hatte mitgezählt.
»Willst du mich ernsthaft auf Nikotinentzug erleben?« Graves klickte sein Feuerzeug an, inhalierte und blies den Qualm aus. Sein Fenster war ganz heruntergedreht, so dass sich das Geräusch der nassen Reifen mit dem Brummen des Motors, dem rhythmischen Hin und Her der Scheibenwischer und den Rolling Stones mischte, die im Radio von einem Lasttier sangen. »Sag es ihm, Dru!«
Ich verdrehte die Augen, was zwar keiner von den beiden sehen konnte, aber ich fühlte mich besser. »Seit wann bin ich der Schiedsrichter? Ich frage ja ungern, Christophe, aber wie weit ist es noch?«
»Wir sind fast bei einer sicheren Unterkunft – jedenfalls bei einer, die ich für sicher halte.« Er kurbelte sein Fenster herunter und rümpfte die Nase. Ich sog an meinem Vanille-Shake. »Im Dunkeln herumzufahren, empfiehlt sich nicht.«
»Weil dann die Vampire unterwegs sind«, stimmte Shanks ein, dem es gelang, gleichzeitig unheimlich und ironisch zu klingen. »Und die finden nichts so lecker wie Svetocha. «
»Halt die Klappe!« Ich lehnte einen Fuß auf das Armaturenbrett. Fahrten mit Dad hatten völlig anders ausgesehen. Er und ich konnten ewig fahren, ohne zu reden, abgesehen von meinen Wegansagen, wenn wir auf ein Gewirr von Abfahrten oder Umgehungsstraßen stießen.
»Bringt mich nicht dazu, den Wagen anzuhalten!« Christophe drehte das Radio lauter. Der Stones-Song endete, und es folgten die Beach Boys, die von kalifornischen Mädchen sangen.
Shanks gab einen Würgelaut von sich. »Alter, bitte, kannst du nicht mal anständige Musik einstellen?«
»Was ist an den Beach Boys verkehrt? Brian Wilson war ein Genie.« Ich klopfte den Takt mit dem Fuß mit.
»Amen«, murmelte Christophe, der das Radio noch lauter drehte. »Und jetzt haltet ihr alle die Klappe! Ich muss das Haus finden.«
»Wenn du eine Karte hättest, könnte ich dir helfen.« Mir gefiel nicht, dass ich keinen Schimmer hatte, wohin wir fuhren, aber Christophe hatte sich geweigert, eine Karte zu kaufen, als wir an einer Tankstelle hielten, und ich musste sparsam mit meinem Geld umgehen.
Ich wusste schließlich nicht, wann ich es brauchte.
»Nicht nötig.« Er verlangsamte, stellte den Blinker an, wechselte zwei Spuren nach links und bog in eine Seitenstraße ein. Hupen dröhnten hinter uns, was mich so erschreckte, dass ich beinahe meinen Milchshake fallen ließ. »Wir sind da.«
»Verdammt!« Ich umklammerte meinen Wachspapierbecher. »Bist du nicht ganz dicht?«
Die Jungen hinten
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