Strange Angels: Verraten: Roman (PAN) (German Edition)
hatte.
Kapitel 6
C afeteria-Lärm rollte in Wogen über mich hinweg. Pfiffe, Gespräche, Gelächter. Alle saßen beim Frühstück. Ich hackte mit der Gabel auf mein Rührei ein. Die Pfannkuchen waren dampfend heiß und frisch gewesen. Jetzt lagen sie nur noch platt auf dem Teller.
Und ich saß bloß da. Es war kurz nach Sonnenuntergang. In einer Dreiviertelstunde begann der Unterricht. Eigentlich wollte ich eher wieder ins Bett. Ich meine, ich hatte die Schule noch nie geliebt, trotzdem war ich entschlossen, endlich etwas zu tun, selbst wenn es bedeutete, mich mit den dämlichen Grundkursen abzufinden.
Aber aufzustehen, mich anzuziehen, mein Haar zum Zopf zu flechten und in die Cafeteria zu gehen, stellte eine echte Belastungsprobe für meine Entschlossenheit dar. Meine Schulter schmerzte noch von dem kleinen Tango mit Christophe, auch wenn es weniger schlimm war, als ich befürchtet hatte. Diese Bäder wirkten wahre Wunder.
Ein Schatten legte sich über mich, und ich hatte meine liebe Not, nicht zusammenzuzucken. Aber es war bloß ein junger blonder Wolf mit dunklen Augen und einem sanften Gesichtsausdruck. Er war blass und hielt sein Tablett so fest umklammert, dass seine Fingerknöchel weiß waren. Man fürchtete fast, dass er aus lauter Nervosität etwas zerbrechen könnte.
Dieses Gefühl kannte ich sehr gut.
Sein Mund bewegte sich, doch ich hörte bei dem Krach nicht, was er sagte. Aus der Nebelwand an der Essensausgabe, durch die die Mahlzeiten gereicht wurden, war ein Zischen zu vernehmen, das sich mit dem übrigen Cafeteria-Lärm vermengte.
»Was?« Meine Gabel fiel klappernd auf das Tablett. Der Junge zuckte und zog seine Schultern unter dem blauen Zopfpulli ein. Für einen Werwolf war er sehr zart und schmal, allerdings standen die sehnigen Muskeln seiner Unterarme vor, wo er die Ärmel nach oben geschoben hatte.
»Dibs«, krächzte er, »ich heiße Dibs.«
Ich klappte meinen Mund zu. Schüchterne Jungen hatte ich schon in allen Varianten kreuz und quer durch die Staaten erlebt, und diesen hier hatte es übel erwischt. Mein Gewissen meldete sich – energisch.
Ich schob den Stuhl neben mir vor. »Hi! Ich bin Dru.«
So, wie er strahlte, hätte man glauben können, dass ich ihm gerade den Hauptgewinn im Lotto überreicht hatte. Er setzte sich. Auf seinem Tablett lag ein riesiger Berg rohes Fleisch, das über den Tellerrand hing. Ich erkannte zwei T-Bone-Steaks und einen ungebratenen Burger, bei dem sich mir der Magen umdrehte. Ich schluckte und griff nach meinem Kaffee.
»Hi.« Er kratzte sich das Bein durch die Jeans und grinste. Seine weißen Zähne blitzten, und sein Haar glänzte wie Butterblumen. Die Mädchen liebten ihn gewiss, denn sie mochten sicher seine großen Rehaugen. »Äh, ähm, hi.«
Ich aß einen Bissen von meinem Rührei und versuchte, nicht auf Dibs’ Teller zu sehen. »Also, was ist?«
»Wie?«
»Keiner will mit mir reden. Wieso bist du hier?« Ich war froh, dass er mir Gesellschaft leistete, denn Graves war weit und breit nicht zu sehen. Aber ich war schon zu oft die Neue an Schulen überall im Land gewesen, als dass ich dem ersten Jungen getraut hätte, der auf mich zukam. Auf jeden Fall hatte ich gelernt, auf ihr Mienenspiel zu achten, das oft verriet, was sie sich von der Neuen in der Stadt versprachen.
Okay, Graves war der Erste gewesen, der mich in den Dakotas angesprochen hatte, und da wusste ich nicht, was ich von ihm halten sollte. Es war wohl ein glücklicher Zufall gewesen. Vielleicht.
Nicht so glücklich für ihn, denn er war gebissen worden und endete hier.
»Du hast einsam ausgesehen.« Er beugte sich über seinen Teller, die Fingerspitzen unmittelbar über seinem Fleisch schwebend. »Und die haben gewettet, dass ich es nicht bringe, weil ich ein Beta bin. Manchmal muss man ihnen zeigen, dass sie falschliegen, auch den Alphas.«
»Beta?« Alphas? Oh Mann!
»Ich, ähm, bin so geboren. Geboren, nicht gebissen, und das eben als Beta.« Er blinzelte. »Das kennst du nicht, was? Graves sagt, du kennst dich mit einer Menge Kram aus, aber mit einigem auch nicht.«
»Sagt er das, ja?« Ich aß noch einen Happen Rührei, und Dibs entspannte sich ein bisschen. »Was erzählt Graves sonst noch?«
»Dass, wenn irgendjemand dir Ärger macht, er demjenigen an die Gurgel geht. Er hat sich gleich an seinem ersten Tag hier mit einem angelegt und bewiesen, dass er ein Alpha ist. Deshalb schläft er oben.« Obwohl er seine Zähne zeigte, blieb Dibs’ Ausdruck sanft. Er
Weitere Kostenlose Bücher