Strange Angels: Verraten: Roman (PAN) (German Edition)
hatte. Nun wusste ich, dass es sie gab. Ich hatte gesehen, wo meine Mutter gestorben war.
Er hängte sie in den Baum. Annas süße, sanfte Stimme, die das sagte, als wäre es nichts, was nicht stimmte. Es war nicht nichts. Es ging um meine Mutter, und sie …
»Hast du Christophe gesehen, Dru?« Dylans Jacke raschelte, als er sich von der Wand abstemmte. »Ich muss dir wohl nicht sagen, dass er in großen Schwierigkeiten steckt. Und sie werden größer.«
Ich versuchte nachzudenken, aber er machte es mir schwerer, indem er redete. »Ich möchte in mein Zimmer gehen.« Ich hörte mich an wie eine Fünfjährige. »Bitte.«
»Na schön.« Aber er konnte es natürlich nicht lassen. »Dru …«
»Wer sollte auf mich aufpassen?« Die Stelle, an dem die Akte gelegen hatte, bildete ein Loch in der Welt, und ich war nicht sicher, ob mir behagte, wie der Wind über es hinwegpfiff. Nein, ich hasste dieses hohle Geräusch, wie ein Sturm, der um die Ecke eines leeren Hauses heulte, ein tiefes ungeduldiges Stöhnen, während man drinnen wartete, dass Dad kam und einen holte. »Wer sollte mich zu meinem Zimmer bringen, als die Glocke losbimmelte? Es war das einzige Mal, dass niemand kam, um mich zu holen.«
»Ich weiß es nicht. Ich hatte keine Gelegenheit, auf dem Plan nachzusehen. Und jetzt ist er verschwunden.« Er bewegte sich wieder, rastlos. Ich hustete noch einmal. »Ich wurde weggerufen, um Anna zu begrüßen. Wir erhalten nie vorher Bescheid, wann sie kommt, also …«
»Sie wohnt nicht hier?« Was mir egal war. Meine Beine fühlten sich an, als könnten sie mich jetzt tragen – halbwegs. Etwas anderes, das Dylan gesagt hatte, schien wichtig, doch leider versagte mein Gehirn.
»Nein, tut sie nicht.« Seine Antwort fiel verdächtig knapp aus, und ich hatte es allmählich gründlich satt, dass er mir anscheinend nicht alles verriet. Oder überhaupt irgendetwas.
Ich stemmte mich vom Stuhl ab, bekam mich nicht hochgehievt, und Dylan trat vor, um mir zu helfen.
Prompt sprang ich auf und zerrte den Stuhl zwischen uns.
»Dru …« Er erstarrte. Wir blickten einander an. Es schien zu wenig Luft zwischen uns zu sein, dass ich atmen konnte, aber sie reichte, um von allen Seiten auf mich einzudrücken. War schon einmal jemand an der Luft ertrunken?
Ich bewegte mich seitwärts zur Tür. Dylan rührte sich nicht, als wäre er unsicher, in welche Richtung ich als Nächstes sprang. Seine Gabe schimmerte auf, und seine Reißzähne verlängerten sich hinter seinen Lippen.
»Ich bin auf deiner Seite«, versicherte er, als ich fast an der Tür stand. »Ich wünschte …«
»Ich habe keine Seite«, konterte ich, fand den Türknauf mit meiner tauben Hand und floh. Sämtliche Flure waren verlassen, so dass ich es bis zu meinem Zimmer schaffte, ohne dass noch etwas geschah.
Was für ein unerwarteter Segen! Ich hatte schon halb damit gerechnet, dass ein Feuer ausbrach, noch ein Angriff kam oder sonst was passierte.
Drinnen verriegelte ich die Tür, lehnte mich mit dem Rücken dagegen und hob eine Hand. Sie zitterte wie ein Blatt im Wind. Im Zimmer war es totenstill. Die Vorhänge waren ein klein wenig offen, und ein weißes Blatt lag auf dem blauen Bettüberwurf.
Mir wurde abwechselnd heiß und kalt. Zaghaft bewegte ich mich über Meilen von blauem Teppich. Meine Socken verursachten ein schlurfendes Geräusch. Könnte jemand anders die schwachen Abdrücke von Christophes nassen Füßen sehen?
Ich mochte den Nachwirkungen des Adrenalinschubs ausgesetzt und komplett erledigt sein, aber ich war nicht blöd. Es war zu falsch. Zwei Fotos von dem Haus, in dem ich vorher gelebt hatte – bevor Mom starb und die Welt sich veränderte –, ergaben keine Beweise gegen Christophe. Falls die Informationen so geheim waren, hätte Anna die Akte gar nicht erst mitbringen dürfen. Und mich herumzukommandieren, war genau die falsche Methode, um mich zu irgendetwas zu bewegen.
Ja, ich verstand durchaus, dass man Befehlen gehorchte, wenn man unter Beschuss stand. Das war etwas völlig anderes. Aber Dad hatte keine blind gehorsame Idiotin aufgezogen. Das hätte er wohl gar nicht gekonnt.
Das Papier war blütenweiß, schwer und teuer. Und die Schrift war sauber und leicht schnörkelig wie eine Messinggravur.
Svetocha,
sei vorsichtig! Nichts hier ist, was es scheint.
Triff mich beim Bootshaus!
Dein Freund
Ich sank auf das Bett. Es war ein Code, aber ich begriff die Nachricht nicht. Was zum Henker sollte das heißen?
Und wieso legte mir
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